Alexis O’Hara trifft mit ihrem Iglu aus 113 Lautsprechern den Nerv zeitgenössischer Kunstfreunde.
Noch herrscht Ruhe im Raum. Fast gespenstische Stille, angesichts des beachtlichen Bergs an Lautsprechern, der aus der Mitte der Ausstellung im “Haus für Elektronische Künste” ragt. Doch dann erwacht die Installation zum Leben: Plötzlich erscheint das Gesicht einer Frau inmitten des Boxenturms. Alexis O’Hara schüttelt ihre lange Löwenmähne, dass ihr Rock im Takt flattert. Als wäre sie eine gute Hexe, entsteigt die kanadische Künstlerin mit einem kehligem Lachen ihrem Knusperhäuschen, stemmt die Arme in die Hüften und wirft einen prüfenden Blick auf ihr Kunstwerk.
Es ist Mittwoch, der dritte Tag der Aufbauarbeiten, morgen findet die Vernissage am “Shift”-Festival der elektronischen Künste in Basel, statt. O’Hara ist erstaunlich entspannt. Sie sei zeitlich gut dran, erklärt die Künstlerin gut gelaunt. Schliesslich steht das Iglu bereits: 113 Lautsprecher, zusammengehalten durch silbrig glänzende Schrauben und Scharniere. Heute gilt es, alle zu verkabeln, das Iglu zum Klingen zu bringen – denn die meisten der Boxen, die O’Hara vom hiesigen Elektroschrott-Depot ausgeliehen hat, funktionieren noch.
“Wahnsinn, was die Leute hierzulande alles fortwerfen. Nicht?”, meint sie zur Begrüssung, verwirft die Hände und lacht noch einmal das kehlige Lachen: “Nur weil ihnen plötzlich eingeredet wird, dass grosse, schwarze Boxen out seien, weil man nun unbedingt kleine, weisse Quadrate haben muss. Morgen sind’s dann silberne, kreisförmige Dinger.” O’Hara zuckt mit den Schultern: “Na ja, für mich ist das natürlich super, wenn ich so tadelloses Material zur Verfügung gestellt bekomme.”
Was man sich normalerweise nie trauen würde
Allgemein kann sich O’Hara, die zuvor in ihrer Heimat Montreal bereits als Slam-Poetin, Electronica-Liveact und Performance-Künstlerin auf sich aufmerksam machte, zurzeit nicht beklagen. Seit zwei Jahren tourt sie mit “Squeeeeque! A.K.A. The Improbable Igloo” um die Welt, baut ihre interaktive Lautsprecher-Installation, in der das Publikum via von der Decke herabhängende Mikrofone selber zum Akteur wird, in Ausstellungshallen, an Open-Airs und Festivals immer wieder aufs Neue auf und ab. “Wohin ich auch komme, die Leute rennen mir die Bude ein”, schmunzelt O’Hara: ”Ich scheine einen Nerv getroffen zu haben.”
Dabei kam ihr die Idee zu “Squeeeeque” buchstäblich im Schlaf: “Eines Nachts träumte ich von einer Frau, die ein Mikrofon als Kopf hatte und in einem Lautsprecherhäuschen lebte.” Nach dem Erwachen war der Kanadierin klar, dass sie die Idee umsetzen will. Und: Dass es sich beim Haus um ein Iglu handeln muss: “Ein heimliches Versteck vor der kalten Aussenwelt, ein Ort der Wärme, ähnlich einem Fort, das Kinder zum Spielen und Verstecken bauen. Denn darin macht man Sachen, die man sich normalerweise nicht trauen würde.”
So begeistert O’Hara selbst von ihrer Idee war, so sehr überraschte sie, dass niemand vor ihr auf den Gedanken gekommen war: “Die Boxen haben genau die Form der Eisblöcke, die man zum Bau eines Iglus braucht. Singt oder spricht man in die Mikrofone, füllt sich der Raum mit Klang. Es entsteht eine warme, heimelige Atmosphäre. Eigentlich ist das alles total simpel – aber effektiv.”
Unbegrenzte Möglichkeiten
Mit “Squeeeeque” (zu deutsch: “Quiiietsch”), benannt nach dem Feedback der Mikrofone im Boxeniglu, gelang der von Buckminster Fuller inspirierten O’Hara auch ein lange vergeblich angestrebter, persönlicher Durchbruch: “Endlich stand nicht mehr ich, mein Körper, meine Biographie im Zentrum meiner künstlerischen Arbeit. Ich war so müde davon geworden, dass alles sich immer auf mich bezieht, von meiner Performance abhängt.” Ihr Iglu schafft dagegen eo ipso neue Räume, bildet neue Beziehungen, ermöglicht gar neue Kollaborationen:
“‘Squeeeeque ist Performance ohne Performer, Installation ohne Installateur: Endlich schaut das Publikum nicht nur zu, sondern ist selber der zentrale Teil des Kunstwerks. Ich bereite nur noch den Boden dafür, dass Leute zusammen kommen und aktiv werden.” So hätten in ihrer Heimat Montreal ganze Musikgruppen, von Chören bis zur indischen Tabla-Gruppe, im Iglu spontane Jamsessions abgehalten. In Berlin dagegen entwickelte sich “Squeeeeque” zum bunten, lauten, ausgelassenen Kinderhort, O’Hara zur beliebtesten Babysitterin der Ausstellung.
Doch ob das Konzept in der zurückhaltenden Schweiz ebenso funktioniert? Ob nach der Ruhe auch hier am Shift-Festival ein Sturm der Begeisterung losbricht? O’Hara lacht – und antwortet mit einer Anekdote: “Die Tochter einer Freundin war immer ein schmerzlich scheues Kind, das sich kaum traute, vor Fremden auch nur einen Pieps von sich zu geben. Als sie das Iglu entdeckte, verbarrikadierte sie sich gleich darin. Am Ende des Tages sang sie aus vollem Hals und entwickelte sich damit zum Star des Abends. Wer weiss, was hier alles möglich ist?”
Künstlergespräch mit Alexis O’Hara: Sa, 18.30 Uhr Festivalzentrum, Performances Alexis O’Hara und Partner Radwan Moumneh in der Installation: Do, 21.30 Uhr, Sa, 14.30 Uhr, So 14.30 Uhr.
Quellen
www.shiftfestival.ch
www.haus-ek.org
twitter.com/shiftfestival
www.dyslex6.com
www.youtube.com/watch?v=gQxu0UhRiEo