Idealerweise berührt Kunst Betrachtende, freilich meist nur intellektuell oder emotional. Physische Berührung wird jedoch zunehmend zum Gestaltungselement von Kunstwerken. Dem Tastsinn in der Kunst widmet das Museum Tinguely in Basel nun eine Sonderausstellung.
Wichtigster Körperteil für den Museumsbesuch ist auch hier nicht die Hand, sondern der Kopf: Von den rund 220 Werken von 70 Kunstschaffenden darf man nur die wenigsten anfassen. Begreifen muss man das taktile Konzept der Werke so meist abstrakt, doch langweilig wird einem angesichts all der dokumentierten Facetten kaum.
Die Sonderschau «Prière de toucher – Der Tastsinn der Kunst», die am Freitag öffnet und bis Mitte Mai zu sehen ist, nimmt den Themenfaden früh auf: Gipsabgüsse antiker Skulpturen machen die unterschiedliche Wahrnehmung zwischen blossem Betrachten und mit verdeckten Augen Befühlen erlebbar. Auch sind Berührungen aller Art als Abbildungsmotive seit jeher verbreitet.
Mehrdimensional sinnlich
Für Religionen sind Berührungen ebenfalls zentrale Erlebnisse, die ritualisiert werden – bis hin zum Wünsche Abhaken mit Gebetsketten. Jüngere Kunstrichtungen überlagern verschiedene Wahrnehmungsformen und kontrastieren mitunter lustvoll – etwa 1947 Marcel Duchamps Schaumstoff-Brust auf einem Katalogdeckel, die der Ausstellung den Titel leiht.
Angesichts der uferlosen Themenfülle zeigt das Museum neben Objekten, Gemälden und Installationen rund 40 Videos, von dokumentarischen Filmen von Kunstaktionen bis zu eigentlichen Kunstvideos, wie Pipilotti Rists «Pickelporno» von 1992. Just die sehr körperliche Performancekunst ist ja für ein Museum gar flüchtig.
Das Museum Tinguely hat seine Hallen für die Sonderschau umgebaut und mit Stellwänden und weisser Stoffdecke eine fast intime Ambiance geschaffen, in der das Thema Betrachtenden näher kommt. Ein Raum hat Wände tapetengleich übersät mit Fingerabdrücken; auch die Werke darin nutzen solche wie Pixel für ein monumentales Körperbild.
Berührende Bot-Finger
Passiv physisch spürbar wird die gezeigte Kunst dann auch noch: en passant mit Heizdrähten als Wandskulptur, in einer Art hart beschallten Fussgänger-Geisterbahn oder bei einem blinden Roboter, dessen menschenähnliche Hände Personen abtasten.
Fast reines Kopfkino ist ein Kuss-Lippenabdruck auf Kopfhöhe: Er steht Kopf, wozu man sich die Entstehung selber ausmalen soll. Wissenschaftlich verortet wird dann das Tastsinn-Kunstthema an einem Symposium Anfang April; dazu erscheint ein Ergebnis-Sammelband, während auf einen Ausstallungskatalog verzichtet wird.
Die Ausstellung «Prière de toucher – Der Tastsinn der Kunst» ist die zweite des Museums Tinguely zu den fünf menschlichen Sinnen in der Kunst. Den Auftakt hatte es mit dem Geruchssinn 2015 gemacht. Heuer plant das Haus zudem noch zwei Sonderausstellungen: ab Juni zum britischen Künstler Michael Landy und ab Oktober zu Musikmaschinen.
www.tinguely.ch