Sorrentini ist ein legitimer Nachahmer von Fellini. Sorrentinis Italiens hat allerdings seine Zukunft längst hinter sich. Das ist aber noch lange kein Grund für die italienische Väter-Generation, die Party zu beenden.
Jep Gambardella (Toni Servillo) hat seit Jahren keinen Roman mehr geschreiben. Als Erfolgs-Intellektueller ist er ein Teil der römischen Haute-Volée. Jeder kennt ihn. Jede bewundert ihn. Aber es ist lange her, da jeder wenigstens einen Satz von ihm gelesen hatte. Heute lebt er von seinem langsam verhallenden Ruf.
Dabei ist Jep umgeben von Rätseln, die er lüften könnte. Warum seine Liebe ihn verliess? Warum nach dem schönsten Augenblick im Leben nicht noch schönere kommen können. Warum die Schönheit nicht vergänglich ist, hingegen wir? Warum schmeckt der Risotto, aufgekocht besser als frisch?
Insgesamt ist der Film eine Aneinanderreihung gewitzter, feuilletonistischer Anekdoten und eine lebensfrohe Hommage an Fellini. Immer wieder stossen wir auf Schlüssenbilder: Da sitzt die ganze Haute Volée Schlange beim Visagisten, um sich schön pudern zu lassen. Da fletzt die Kunstbesitzergemeinde in der Open-air-Galerie und langweilt sich über eine blutige Performance. Immer wieder verharren wir bei Bildern, die uns endlich eine Tür in den Film öffnene könnten, und werden schon beim nächsten Bild wieder enttäuscht. Das ist keine Geschichte. Der Film ist Geschichte. Ein Piktogramm für die Nachwelt. Seht her, so war es wie wir heute leben.
Ein Adlatus Fellinis
Als der erste Schlüsselsatz aufhorchen lässt, halten wir uns noch bei ihm auf. Bis der nächste Schlüsselsatz auftaucht. Bis wir merken, dass sich lauter Schlüsselsätze aneinanderreihen. Mal vulgär, mal universitär führen sie uns in die Irre, und addieren sich zu einer zunehmenden schon einmal gehörten Leere: Risotto schmeckt aufgewärmt besser als frisch. Selbst als am Schluss, als wenigstens eine Heilige real scheint, sind ihre Gesten der Armut nur noch Leere: «Armut kann man nicht erzählen. Man kann sie nur leben.» Spätestens jetzt wir uns klar, dass wir längst selber in einer Ansammlung von Schlüsselsätzen leben, die uns mit lauter Leere umgeben.
Das hat alles Fellinis Witz, aber nie seine Komik: Fellinis junger Regisseur scheiterte noch nonchalant an seinem neunten Filmprojekt, und lieferte ein bestechendes Protokoll seines Scheiterns. Jep scheitert gar nicht mehr. Er verweigert sich nicht einmal. In seinem Protokoll zeigen sich lauter gescheiterte Figuren, bis auf eine: Der unbekannte Schriftsteller, der nie ein Wort sagt. Warum nicht. Weil er hier ist, um zu hören: Das ist seine grösste Kunst der Verweigerung: Die Kunstverweigerung.
Eine erbarmungslose Abrechnung mit der Haute Volée
Es ist ein abgrundtief pessimistisches Panoptikum an Sinnleere was da, vergnügt und vergnüglich an uns vorüber zieht. Die Fassade dieser Haute Volée, dieser Mehrheit einer nicht verschwinden wollenden Minderheit ist ihre Intellektualität: Es gibt längst keine Kunst mehr in deren Leben. Nur noch Künstlichkeit. Ihre Kunst besteht darin, zu überschätzen, was sie tun, was sie besitzen und denken und – sich selbst. Das meiste, was dieses Establishment äussert ist ohnehin nur, wie der Name sagt: Volée!
Die Leidenskünstlerin Abramovic darf sich zwar noch – splitternackt bis auf die roten Schamhaare, in deren Busch ein gelbes Hämmerchen und Sichelchen gefärbt sind – per Forma performativ an einer Aquäduktwand den Kopf blutig schlagen und ihrem Augenwasser freien Lauf lassen, um im Interview zu erklären, dass eine Künstlerin sich nicht erklären müsse: doch ihre Kunst ist längst pure Künstlichkeit durch die gestohlenen Augen der Betrachterinnen. Auch Jackson Pollack taucht als Frau auf, die ein Kind ist, das ein Genie ist, und es darf Farben spritzen und verschmieren und sich unter den Augen der bedeutendsten Galeristen der Welt zu einer Künstlerin mausern. Italien sucht den Nachwuchs-Superkünstlerstar. Oder der Altkünstlerstar sucht Italien: Selbst die Schauspielerin aus reichem Haus hat nicht mehr zu sagen, als dass sie ab morgen schreiben will: Einen Roman. So einen, wieProust geschreiben hat.
La Dolce Vita revisted
Sorrentini liefert uneingeschränkte geistreichen – und langweilenden – Party-Spass. Er setzt ein ein hassvolles Bild von seinem Italien zusammen. Während Fellini auf der Suche nach der Kunst immer wieder auf eine liebenswerte Wirklichkeit stiess, sucht Sorrentini vergeblich nach der Wirklichkeit: Er stösst nicht einmal mehr auf Kunst. Er trifft nur noch auf eine leere Künstlichkeit – selbst bei sich selbst. Aus ihm sprechen nur noch Romane, die andere bereits geschrieben haben, oder sich vornahmen, zu schreiben: Zum Beispiel Flaubert, der seinen Roman über das Nichts nie geschrieben hat. Auch so ein Schlüsselsatz, der zweimal zitiert und dreimal bebildert wird.
Am Ende bleibt von all den Schlüsselsätzen jener des Zauberers, der eine Giraffe verschwinden lassen kann: Es ist nur ein Trick. Un Trucco. Un truc. Es Trückli. Mehr ist nicht drin. Aber nach fast zweieinhalb Stunden schliessen wir amüsiert das Deckelein. Es ist immer einfacher die Menschen zu verachten, als sie zu lieben. Aber das ist auch nur so ein leerer Schlüsselsatz.
Der Nachfahre von Fellini auf Sinnsuche: Er findet das Italien Berlusconis auch in den Träumen der Intellektuellen.