«Könige der Spannung» sind sie bereits, die Franzosen. Oder auch «Champions der Schlussphase». Restlos überzeugt hat der Gastgeber an der Heim-EM bislang nicht. Nun folgt das Spiel gegen die Schweiz.
Didier Deschamps stellte beim 2:0-Erfolg gegen Albanien bereits ein erstes Mal das System um, verwarf seine Idee nach 45 unzureichenden und torlosen Minuten aber ziemlich schnell wieder. «Man spürt die Last auf den Spielern deutlich, die Resultate sagen viel aus», hat der künftige Nice-Coach und Frankreich-Experte Lucien Favre beobachtet. Nicht nur ihm ist aufgefallen, wie schwer sich Deschamps‘ Mannschaft beim 2:1 gegen Rumänien und gegen Albanien in den ersten EM-Tagen mit der Favoritenrolle getan hat.
Wie sehr die Anspannung vor allem den jüngeren im Team zusetzt, verdeutlicht eine Episode, die inzwischen zur mittleren Affäre aufgeblasen worden ist: Paul Pogba, beim zähen EM-Auftakt nach 77 Minuten ausgewechselt und im zweiten Spiel zunächst nur auf der Bank, bejubelte Payets 2:0 gegen Albanien in Marseille mit einer unvorteilhaften Geste, die mutmasslich seinen Kritikern auf der Medientribüne galt.
Eine belgische TV-Station veröffentlichte entsprechende Aufnahmen Pogbas, zu sehen war der sogenannte «bras d’honneur», der kurz angewinkelte Arm mit erhobener Faust; in Frankreich als «Gruss» der eher obszöneren Art bekannt. Das Urteil war gefällt, «L’Equipe» sezierte Pogbas Handlung bis ins Detail.
Der Jungstar seinerseits reagierte zuerst unbeholfen, dann von seinem italienischen Einflüsterer Mino Raiola schlecht beraten. Er habe in der Sekunde der grossen Emotionen lediglich den üblichen Freudentanz aufgeführt. Die Bilder seien komplett falsch interpretiert worden, so Pogba. Der französischen Nachrichtenagentur AFP liess er sogar ein Communiqué zukommen, in dem er zu versichern versuchte, er habe seiner Mutter und den Brüdern zuwinken wollen.
Ausgerechnet Nicolas Anelka solidarisierte sich als Erster mit dem unter Beschuss geratenen Juventus-Professional. Der Auslöser der legendären französischen Spielerrevolte beim WM-Debakel 2010 beschuldigte die Medien, den Erfolg des Nationalteams zu beeinträchtigen: «Ihr werdet nicht müde, Polemiken zu kreieren.»
Geste hin, Polemik her: Pogba hat für einen, der in einem viel beachteten Interview mit «L’Equipe» seine enormen persönlichen Ambitionen offenlegte und davon redete, jeden internationalen Fussball-Gipfel besteigen zu wollen, relativ früh die Nerven verloren. Anspruch und Wirklichkeit klaffen speziell bei ihm (noch) weit auseinander.
Schweizer als Randnotiz
Das Duell mit der Schweiz heute (21.00 Uhr) in Lille war zunächst nur ein Randthema, zu beschäftigt ist die «Equipe Tricolore» nach ihrer frühzeitigen Achtelfinal-Qualifikation mit eigenen Eitelkeiten gewisser verletzter Exzentriker oder System- und Formfragen.
Zu rechnen ist gleichwohl mit einem forschen und stürmischen Gastgeber. Die vor der Pogba-Eskapade sorgfältig aufgebaute Kreditwürdigkeit der Nationalmannschaft soll mit guten Ergebnissen bestärkt werden.
Vergleiche mit der Schweiz auf Qualifikations- oder Endrunden-Niveau eignen sich zur eigenen Imagepflege wunderbar: Verloren hat der zweifache Europameister gegen die SFV-Vertreter nie, vor zwei Jahren an der WM demütigten sie den Aussenseiter beim 5:2-Triumph in Salvador da Bahia sogar regelrecht. Mit einem Remis gegen die Schweiz wäre der Gruppensieg perfekt und ein weiteres Etappenziel erreicht.