Der mutmassliche Lauschangriff des US-Geheimdiensts NSA auf das Handy der deutschen Kanzlerin Angela Merkel hat am Donnerstag den EU-Gipfel in Brüssel überschattet. Merkel verurteilte die vermutete Abhöraktion scharf: «Ausspähen unter Freunden – das geht gar nicht».
In einem Telefongespräch mit US-Präsident Barack Obama hatte Angela Merkel am Mittwoch deutlich gemacht, dass die mutmassliche Abhöraktion des US-Geheimdiensts NSA ihres Mobiltelefons inakzeptabel sei. In der Beziehung befreundeter Staaten sei Vertrauen notwendig. «Nun muss Vertrauen wieder hergestellt werden», sagte die Kanzlerin. Daher müsse darüber nachgedacht werden: «Was brauchen wir, welche Datenschutzabkommen brauchen wir, welche Transparenz brauchen wir.»
Merkel und Frankreichs Staatschef François Hollande wollten sich am Rande des EU-Gipfels treffen und über die neuen Spionagevorwürfe gegen die US-Geheimdienste beraten. Denn auch Frankreich ist vom Lauschangriff der US-Amerikaner betroffen.
Medienberichten zufolge spionierte die NSA auch Personen aus Wirtschaft, Politik und Verwaltung in Frankreich aus. Das hatte in den vergangenen Tagen im Land zu Wut und Empörung geführt.
Am Gipfel selbst sollte die Ausspähaffäre ebenfalls zur Sprache kommen. «Ich denke, dass wir das teilweise im Rat diskutieren werden», hatte die litauische Staatspräsidentin Dalia Grybauskaite angekündigt. Litauen führt derzeit die EU-Ratspräsidentschaft.
Abkommen gefährdet
Mehrere Politiker hatten sich im Vorfeld des EU-Gipfels zur US-Ausspähaktion geäussert. EU-Parlamentspräsident Martin Schulz etwa forderte, die Verhandlungen über das Freihandelsabkommen zwischen Europa und den USA auszusetzen.
Bereits einen Tag zuvor hatte das EU-Parlament verlangt, das Swift-Abkommen mit den USA zu kündigen. Der Swift-Vertrag erlaubt US-Terrorfahndern unter bestimmten Bedingungen Zugriff auf Kontenbewegungen von Verdächtigen in Europa.
Die neuesten Enthüllungen dürften auch der Datenschutzreform neuen Schwung geben, über welche in der EU gestritten wird. «Die jüngsten Abhörskandale zeigen: Datenschutz muss für alle gelten», sagte EU-Justizkommissarin Viviane Reding.
Schutz gegen Lauschohren verlangt
Gleichgültig, ob es sich um die E-Mails der Bürger, oder das Handy von Angela Merkel handle. «Wir brauchen jetzt grossen Europäischen Datenschutz gegen grosse Lauschohren», sagte sie und forderte die EU-Staats- und Regierungschefs dazu auf, endlich zu handeln statt zu reden.
Ins gleiche Horn stiess auch EU-Kommissionspräsident José Manuel Barroso: «Wir sehen das Recht auf Privatsphäre als ein Grundrecht an.» Der Datenschutz stand bereits in allgemeiner Form auf der Gipfelagenda.
Die EU-Kommission selbst hält die Mobiltelefone der EU-Kommissare für abhörsicher. Man habe keine Zweifel, das diese Telefonleitungen vollständig geschützt seien, sagte ein Sprecher der Kommission. Dies gelte auch für das Handy Barrosos. Im Sommer war bekanntgeworden, dass die NSA die EU intern als Spionageziel führt und deren Einrichtungen ausgespäht.
Deutsche Politiker verurteilen Lauschangriff
In Deutschland verurteilten Spitzenpolitiker aller Parteien den vermuteten Spähangriff auf das Handy von Kanzlerin Merkel durch die NSA scharf. Aussenminister Guido Westerwelle bestellte in Berlin den US-Botschafter zum Rapport ein.
Der Datenschutz dürfte nun in den Koalitionsverhandlungen von Union und SPD mehr Gewicht bekommen. Die Grünen warfen dem Kanzleramt vor, im Sommer den NSA-Skandal vorschnell zu den Akten gelegt zu haben. Der mögliche Lauschangriff auf Merkels Handy war vom Magazin «Spiegel» enthüllt worden.
Merkels Handynummer in den NSA-Akten
Merkel selbst hatte am Mittwochabend US-Präsident Barack Obama angerufen, sich beschwert und Aufklärung verlangt. «Die Vereinigten Staaten überwachen die Kommunikation der Kanzlerin nicht und werden sie nicht überwachen», sagte US-Regierungssprecher Jay Carney in Washington. Dies habe Obama Merkel versichert. Carney ging aber nicht darauf ein, ob Merkels Handy in der Vergangenheit längere Zeit abgehört wurde.
Denn das vermuten deutsche Sicherheitsbehörden. In NSA-Dokumenten, die der Ex-Geheimdienstmitarbeiter Edward Snowden entwendet habe, befinde sich eine alte Handy-Nummer Merkels, berichtete die «Welt» unter Berufung auf Sicherheitskreise. Merkel nutzte das betroffene Handy demnach von Oktober 2009 bis Juli 2013. Auch die Bundesanwaltschaft prüft nun die Hinweise.