Guillaume liebt es ein Mädchen zu sein. Nur ist die Liebe nicht gegenseitig: Seine Mutter ordnet Homosexualität so ein: Das sind lauter Engländer!
Seit einiger Zeit lassen es deutsche Taufregister es zu: Das Geschlecht eines Menschen muss nicht mehr eindeutig angegeben werden. Eheregister tolerieren bereits in mehreren Ländern mehr als zwei Geschlechter. Das heisst aber noch lange nicht, dass nun in der Frage der Trennlinien zwischen den Geschlechtern Einigkeit herrschte: Schon bei der Aneignung der Geschlechterrolle trennen sich die Geister da, wo die Geschlechterrollen gelernt werden: «Les garcons et Guillaume, à table!»!
Guillaume lernt, ein Mädchen zu sein. Zumindest ist er der Überzeugung, er sei eines. In der wohlhabenden französisch bourgeoisen Welt, in der alles festgefahren ist, wie Kaffee-Sitten, Klassenrituale und Erziehungsmethoden, ist das nicht einfach. Selbst die Einordnung der Homosexualiät von Guillaumes Mutter ist eng umrissen: Das sind Engländer! Wie soll der lernbegierige Guillaume da bloss zu seinem Geschlecht finden? In England!
… Mädchen sein dagegen sein sehr!
Guillaume möchte ein Mädchen bleiben. Darüber spricht er liebend gern mit seiner Mutter. Doch ist diese Liebe leider einseitig. Deshalb entscheidet sich Guillaume dazu, für seine Mutter ein Stück zu schreiben. Die wichtigste Rolle in diesem Stück spielt er gleich selbst: Seine Mutter. Die wichtigste Zuschauerin ist aber ebenfalls die Frau, die in seinem Leben die Hauptrolle spielt: Seine Mutter.
Guillaume Gallienne ist tatsächlich nicht nur der Hauptdarsteller in seinem Film. Er ist auch der Erfinder der Geschichte. Er ist auch deren Regisseur. Er beschreibt kenntnisreich und haarfein, was die Theorie schon seit Jahren nachweisen kann: Was es mit der Aneignung der Geschlechterrollen auf sich hat. Sie beruht auch auf Lernen.
Mal zweideutig – mal dreideutig
Wie feinsinnig Guillaume auch eine Antwort auf die Frage sucht, wie ein junger Mann oder eine junge Frau zurechtgebogen werden, wenn sie nicht in das gängige Zwei-Rollen-Schema passen – das Mädchen im Film findet keinen Weg, um es in seinen Worten zu sagen. Aber der Regisseur Guillaume Gallienne findet sehr wohl Wege: Gestisch ‚performiert‘ er (wie es der Postfeminismus nennt) die Geschlechterrolle als eine Aneignung. Guillaume Gallienne fasst sein Anderssein für alle anderen Geschlechter so zusammen: «Ich bin durchaus nicht so sehr Schwuchtel, dass ich nicht auch einmal die Lesbe raushängen lassen könnte!»
Die Stärke der kleinen Schwächen
Dabei ist Guillaume aber auch nicht um feine Wortspiele verlegen. Seit Lenny Bruce (und sein Performer Dustin Hofmann) hat wohl kein Schauspieler den Versuch so hinreissend hinterhältig unternommen, all die Unanständigkeiten anzudeuten, die sich in der Frage verbergen, was Geschlechter trennt und vereint: Guillaume Gallienne kann – wie Lenny – einem «Öhm» all die zweideutige Zwischentöne entlocken, die in unseren Köpfen klingen: Als Mutter will er dem kleinen Guillaume endlich in Worten sagen, wofür sie ihn eigentlich hält. Er sei nämlich ein «Öööhm ..ehm … öö .. . ehm … öm…Ööö». Worauf Gallienne als Sohn ihr sagt, was er tatsächlich ist: Ein«Öööhm ..ehm … öö .. . ehm … öm…Ööö». All die anderen Geschlechterrollen scheinen jener Welt, in der die beiden sich zurechtfinden müssen, inadäquat.
Der Schauspieler spielt weit mehr als die Geschlechterrolle
Gerade weil Guillaume die Worte für sein Anderssein nicht findet, ist dieser Film hinreissend komisch: Ein Schauspieler führt uns praktisch vor Augen, wie Geschlechterollen gestaltet werden: Die der Mutter eignet er sich mit strengen Gesichtszügen an, die von Guillaume mit mädchenhafter Scheu. Er erklärt uns gar, worauf er bei der Aneignung der Geschlechter-Rolle achtet, und woran wir sie zu erkennen lernen: An den kleinen Strichen durch die Haare, an den langsamen Augenaufschlägen, an den streng übereinander geworfenen Knien, an den heftigen Hüftstellungen, am Lippenschürzen.
Während also die Figur Guillaume um die Beschreibung seiner Geschlechterrolle ringt, hängen wir dem Schauspieler Gallienne an den Lippen, der uns vorführt, wie eine solche Rolle entsteht: Wir schauen ihm auf jedes Fingerspreizen, nehmen jedes Zucken seiner Augenbrauen wahr, erkennen in jedem Haarezwirbeln das andere Geschlecht des anderen Geschlechts wieder. Guillaume Gallienne macht das Ringen um eine Rolle zu einem weitergehenden Erlebnis: Er erfindet vor unseren Augen eine Rolle, die uns sagen will: Lange bevor die Sprache die Geschlechter in zwei Lager trennte, haben sich die Geschlechter bereits in Unzahl vermehrt. Die deutschen Geburtenregister anerkennen immerhin 3:
(w) weiblich, (m) männlich und (u) unbekannt. Ob das den Unbekannten hilft?
Der Film läuft zur Zeit in den Kult-Kinos.
Lange vor seinem Film-Debut hat Guillaume Gallienne seine Geschichte bereits auf den Theater-Bühnen erzählt:
Zum Anwärmen ein anderer, der über die Geschlechter nachdachte: Lenny Bruce – erst im Origninal und danach: als sein Double – Dustin Hofmann.
Das Bruce-Double: Dustin Hofmann.