«L’écume des jours»

Boris Vian war als Autor ein Vorreiter der französischen Moderne. Im Film von Michel Gondry lernen wir eines seiner wichtigsten Bücher neu kennen: «L’Écume des Jours» ist eine verspielte Liebesgeschichte. Als der Roman «Der Schaum der Tage» von Boris Vian in den Sechziger Jahren seinen zweiten Frühling erlebte, bahnte sich eben der Prager Frühling an. […]

Schon 1968 ein Filmerfolg: 'Écume des Jours'

Boris Vian war als Autor ein Vorreiter der französischen Moderne. Im Film von Michel Gondry lernen wir eines seiner wichtigsten Bücher neu kennen: «L’Écume des Jours» ist eine verspielte Liebesgeschichte.

Als der Roman «Der Schaum der Tage» von Boris Vian in den Sechziger Jahren seinen zweiten Frühling erlebte, bahnte sich eben der Prager Frühling an. Auf den Pariser Strassen verlangten die Studenten, es gehöre «Die Phantasie an die Macht»! 1968 präsentierte Charles Belmont die erste Verfilmung von «L’Écume des Jours» (mit Ursula Kübler (1928–2010), die Tochter des Schweizer Schriftstellers Arnold Kübler) . Die Jugend entdeckte damals den Autor Vian zum zweiten Mal neu. Die Welt stand vor einer Veränderung.

In «L’Écume des Jours» verändern sich aber nicht die Menschen. Die Dinge tun es. Ein Stuhl schrumpelt zusammen, wenn jemand einen Versuch macht, sich auf ihn zu setzen. Ein Haus wird kleiner, dieweil Menschen es bewohnen. Ein Zimmer kann sich auch in eine Kugelform verwandeln, wenn Duke Ellingtons Akkorde gespielt werden. Überhaupt ist das Klavier ein Zauberwerk: Wer es richtig spielt, kann damit auch einen Drink mixen.

«Jeder Note ist ein scharfes Getränk, ein Likör oder ein Gewürz zugeordnet». Spielt man Black and Tan Fantasy (Duke Ellington) kommt eine verblüffende Mischung zustande.» Die Musik spielte denn auch in «L’Écume des Jours» eine wichtige Rolle. Wie bei Antony Burgess («Clockwork Orange») war Vian auch immer ein komponierender Schreibender.

Bis ins Alter bastelte Vian mit Wortspielzeugen. Quer durch die Wirkungsfelder der Sprache hat dieser Wortakrobat als Chansonnier, Lyriker, Dramatiker und Übersetzer die Wirklichkeit der Sprache bis in die Surrealität ausgekostet. Als Autor war Vian seiner Zeit weit voraus. Zeit also, seine damalige Zukunft neu zu besichtigen

«Jeder Note ist ein scharfes Getränk, ein Likör oder ein Gewürz zugeordnet»: Black and Tan Fantasy (Duke Ellington)

Als die Liebesgeschichte «L’Écume des Jours» 1947 zum ersten Mal erschien, stiess sie auf Begeisterung – im kleinen Kreis. Die französischen Intellektuellen waren mit dem Existentialismus beschäftigt. Jean-Paul Sartre dominierte den Diskurs der jungen Generation nach dem Krieg. Vian galt im Literaturbetrieb als Geheimtipp, war aber als Musiker mehr mit Jazzern und anderen Künstlern beschäftigt. Trotzdem darf man ihn als einen Vorreiter der literarischen Moderne in Frankreich sehen.

Michel Gondry als cinéastischer Phantast

In Cannes brachte der Regisseur Michel Gondry («Eternal Sunshine of the Spotless Mind») Vians Kultbuch in diesem Jahr erneut auf die Leinwand. Gondry ist ein Seelenverwandter. Gondry ist auch ein Synästhet. Auch er macht Musik zu Bild und Sprache zu Musik. Der Phantast Vian trifft den phantastischen Gondry im bunten Bilderspiel.

Gondry verwandelt dabei die Pariser Sechzigerjahre in ein animiertes Panoptikum von skurrilen Sehenswürdigkeiten. Wir dürfen durch eine Welt von Wunderwerken in den verzauberten Kosmos von Vian wandern. Gondry, verliebt in seine Figuren, wie Vian, ist ein Tricktechniker alter Schule.  Seine Zaubereien macht er noch ohne Hilfe digitaler Techniken.

Colin (Romain Duris «Mademoiselle Populaire») darf Chloé (Audrey Tautou «Thérèse Desqueyroux») heiraten, wobei ihm Nicolas (Omar Sy «Les Intouchables») hilft: Doch nach einer kurzen Reise auf Wolke Sieben über den Dächern von Paris, kommt die grausame Wahrheit langsam an den Tag. Gerne würde man zuvor dem Quartett länger beim Zubereiten von lauter lebendigen Gerichten zuschauen, oder dem Fernsehkoch noch ein Gewürz abverlangen. Überhaupt würden wir gern länger bei all den verzauberten Dingen verweilen – wie in einem verspielten Museum, doch der Zahn der Zeit nagt an den Dingen.

Wie der Roman so der Film: Verliebt, verspielt, verrückt.

Unmerklich verliert die farbig verzauberte Welt vor unseren Augen ihre Farbe. Es ist nämlich nicht nur eine fröhliche Liebesgeschichte, die Boris Vian in seinem «L’écume des jours» schildert, sondern auch eine, die erfüllt ist vom Schmerz der Trennung. Rund um diesen tragischen Kern baut Gondry eine tröstlich verzauberte Welt. Dabei verzichtet er weitgehend auf digitale Effekte, trägt stattdessen wie ein Varietézauberer zur filmischen Magie der Geschichte bei, ohne dessen Zeitgeist aus den Augen zu verlieren: So nennt Vian den ihm befreundeten (und befehdeten) Jean-Paul Sartre, den Evangelisten seiner selbst, respektlos Jean-Sol Partre, und stellt seine wild wuchernde subjektivistische Phantasie dessen Dogma des Existenzialismus gegenüber.

Wie in «Eternal Sunshine of a spotless mind» ist die Liebesgeschichte nur Anlass für eine filmische Entdeckungsreise, die uns der Franzose präsentiert.

 

Der Film läuft zur Zeit in den Kult-Kinos in Basel.

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