Laut Bundesverfassung muss jede Schulklasse nach den grossen Ferien einen Lehrer oder eine Lehrerin haben. Aus Sicht von Lehrern und Schulleitern bleibt es aber ein Problem, genügend Lehrkräfte zu finden.
Der erste Schultag nach den grossen Ferien rückt immer näher. Jede Schulklasse muss laut Bundesverfassung einen Lehrer oder eine haben. An Lehrkräften mangelt es aber offenbar. Die unternommenen Bemühungen, genügend Lehrer für die Schulen zu finden, lösen aus Sicht von Lehrern und Schulleitern das Problem nicht.
Eine Umfrage des Verbandes Schulleiterinnen und Schulleiter Schweiz (VSLCH) vom Mai zeigte, dass Schulen nach wie vor gezwungen sind, Bewerber einzustellen, die zu wenig zu den Stellenprofilen passen. Folgen seien ein unzureichender Unterricht, Unzufriedenheit bei Schülern und Lehrern, Mehrarbeit für das Kollegium und vorzeitige Abgänge, die das Problem verschärften, hielt der Verband fest.
St. Gallen: Lehrer unterrichten falsche Stufe
Im Kanton St. Gallen zum Beispiel gibt es weder einen Mangel noch einen Überschuss an Lehrern, wie Rolf Rimensberger, Leiter des Amtes für Volksschule, auf Anfrage sagt. Ende Juni seien laut einer Umfrage bei den Gemeinden noch zehn Stellen nicht besetzt gewesen. Im Kanton St. Gallen arbeiten etwa 5500 Lehrerinnen und Lehrer.
Doch auch in St. Gallen komme es vor, dass Lehrkräfte nicht auf der Stufe unterrichten, für die sie ausgebildet sind, sagt Rimensberger. Namentlich in der Realschule, bei den Kleinklassen und in der Heilpädagogik gebe es einen Mangel. Immerhin gehe der Anteil an nicht stufengerecht ausgebildeten Lehrkräften zurück.
Bern: Ganz wenige Teilpensen noch offen
Auch im Kanton Bern ist die Stellenbesetzung auf gutem Kurs, wie Barbara Wenger, stellvertretende Leiterin Personalmanagement Lehrpersonen, ausführt. Ganz wenige kleinere Teilzeitpensen seien noch offen, beispielsweise bei der Heilpädagogik. «Das entspricht im Wesentlichen den Zahlen der vergangenen Jahre.»
Im Kanton Bern können sich Primarlehrkräfte für das Unterrichten an der Oberstufe nachqualifizieren. Auch können Studierende im letzten Studienjahr der Pädagogischen Hochschule Bern (PH Bern) unbesetzte Lehrer-Stellen im Kanton übernehmen. «Sie werden während der Einsätze von den Instituten der PH Bern und den Schulleitungen begleitet», sagt Wenger.
Der Kanton Zürich musste diesen Sommer keine Notlösungen suchen, um seine Lehrerstellen zu besetzen. Kurz vor den Sommerferien hatten 17 Klassen im bevölkerungsreichsten Kanton keinen Lehrer. Das waren deutlich weniger als in den Vorjahren.
Basel: Primarlehrer gefragt
In einer besonderen Lage ist Basel-Stadt: Weil die Primarschule um zwei auf sechs Jahre verlängert wird, werden bedeutend mehr Primarlehrkräfte als früher benötigt. Im Juni waren indes alle Vollzeitstellen in den Kindergärten und Primarschulen besetzt.
Auch in der Westschweiz ist die Lage angespannt. Namentlich fehlt es an ausgebildeten Lehrkräften für Stellvertretungen, wie Jean-Marc Haller, Generalsekretär der Westschweizer Lehrer-Gewerkschaft (SER) sagt. Abhilfe schaffen könnte hier eine spezielle Ausbildung für Springer. Der Bedarf sei aber schwierig vorherzusehen, sagt Haller.
Er warnt davor, dass wegen des Lehrermangels zu wenig gut ausgebildetes Personal eingestellt oder die Anzahl Schüler pro Klasse erhöht wird. Eine besondere Situation hat Genf: Weil die Auflagen für vorzeitige Altersrücktritte verschärft werden, haben sich aussergewöhnlich viele Lehrkräfte frühpensionieren lassen.
Keine Klasse ohne Lehrkraft
«Es wird nie vorkommen, dass eine Klasse zum Schulbeginn keine Lehrkraft hat», sagt Beat W. Zemp, Präsident des Dachverbandes Schweizer Lehrerinnen und Lehrer (LCH), zu den Antworten der Kantone. Die Bundesverfassung verpflichte die Kantone ja, für einen «ausreichenden Grundschulunterricht» zu sorgen.
Daher seien die Schulleiter verpflichtet, genügend Personal anzustellen, auch wenn dessen Ausbildung mangelhaft sei. Den Lehrermangel in offenen Stellen auszudrücken, sei deshalb falsch.
Die Zahl der Lehrerinnen und Lehrer, die nicht auf der Stufe oder in der Fachrichtung unterrichten, für die sie ausgebildet seien, steige. Oft liege es am Kollegium, den Neuen oder die Neue einzuführen, zu begleiten und fehlende Kompetenzen auszugleichen.
Quereinsteiger-Ausbildung wird begrüsst
Positiv bewerten Zemp und der VSLCH die von den Erziehungsdirektoren reglementierten neuen Quereinsteiger-Ausbildungen. Doch mit den paar hundert Lehrerinnen und Lehrern, die diese Ausbildung pro Jahr absolvieren, sei das Problem Lehrermangel nicht gelöst, sagt Zemp.