Leicester City krönt die faszinierendste Geschichte seit der Premier-League-Gründung 1992. Dank dem Punktverlust Tottenhams beim 2:2 gegen Chelsea sichern sich die Foxes den ersten Titelgewinn.
Als es kein Halten mehr gab: Nach dem Schlusspfiff in London gibt es in Leicesters Pubs eine Eruption.
(Bild: Reuters/Eddie Keogh)Leicester feiert den 2:2-Ausgleich von Chelsea gegen Tottenham – das Ergebnis, das schliesslich reichte zum Titelgewinn der Foxes.
(Bild: Reuters/Eddie Keogh)Noch ist es kaum zu fassen: Leicester City und seine Fans feiern in der Nacht auf den 3. Mai einen der grössten anzunehmenden Aussenseiter-Triumphe im Sport.
(Bild: Reuters/Eddie Keogh)Keiner zu klein, ein Fan der Füchse zu sein: Szene aus dem Heimspiel von Leicester City gegen Swansea (4:0) am 24. April im The King Power Stadium.
(Bild: Reuters/Darren Staples)Leicester trägt Weiss und Blau.
(Bild: Reuters/Darren Staples)Chelsea-Fans huldigen beim titelentscheidenden 2:2 ihrem ehemaligen Trainer Claudio Raneiri, jetzt Meistermacher in Leicester.
(Bild: Reuters/John Sibley)Zwei Schlüsselfiguren des Erfolgs: Torjäger Jamie Vardy und der Stratege Riyad Mahrez, ein algerischer Nationalspieler (oben).
(Bild: Reuters/CRAIG BROUGH)«Backing the Blues»: Ein Stadt huldigt ihrem Club und dem vom Nobody zum Goalgetter der Premier League und englischen Nationalspieler aufgestiegenen Jamie Vardy.
(Bild: Reuters/DARREN STAPLES)Gesperrt zum Zuschauen verurteilt: Jamie Vardy am Sonntag in Old Trafford.
(Bild: Reuters/Jason Cairnduff)Eine Stadt flippt aus: Leicester am Abend des Titelgewinns.
(Bild: Reuters/Eddie Keogh)Die fernen (Meister-)Beobachter aus Leicester hatten bis zur grossen Trendwende zu ihren Gunsten über 96 Minuten lang zu leiden. Tottenham war dank dem 25. Treffer von Topskorer Harry Kane und dem perfekten Abschluss Sons unmittelbar vor der Pause zur 2:0-Führung gegen Chelsea gestürmt.
Die Reaktion des entthronten Titelhalters blieb nicht aus. Innerhalb von 25 turbulenten Minuten erzwangen die Blues dank einer Doublette von Gary Cahill und Joker Eden Hazard das Comeback in einem teilweise gehässigen Londoner Derby. Im Finish entglitt den an der Stamford Bridge auch im 26. Anlauf in Folge erfolglosen Spurs nicht nur die Chance auf den ersten Titel seit 1961, sondern auch mehrfach die Beherrschung.
Nach dem Schlusspfiff in London verloren die Menschen in Leicester die Fassung. Der Triumph ihres Fussballclubs ist nichts weniger als eine der grössten Überraschungen im Profisport der letzten Jahrzehnte. Und als verdient wird der Titelgewinn des Underdogs obendrein überall gewürdigt.
Freudentaumel I: Etliche Spieler von Leicester City verfolgten im Haus von Topskorer Jamie Vardy die Partie in London vor dem Fernseher. Der österreichische Nationalspieler Christian Fuchs hielt die Szenerie nach Schlusspfiff fest:
Freudentaumel II: Eine etwas standfestere Perspektive aus einem Pub in Leicester, spendiert vom «Guardian»:
Der im «Theatre of Dreams» von Manchester tags zuvor gegen den Rekordmeister erkämpfte Punkt war für Leicester letztlich Gold wert. Der Coup des lange nahezu namenlosen Vereins aus den East Midlands ist kaum hoch genug einzustufen. Vor zwei Jahren erst ist er aufgestiegen, im März 2015 drohte der direkte Rückfall in die zweite Klasse.
Und nun steht der krasse Aussenseiter Leicester zuoberst, der Klub mit der 1:5000-Meister-Wettquote verdrängt erstmals seit den Blackburn Rovers vor 21 Jahren die Tenöre aus den Zentren London und Manchester von der Spitze des nationalen Rankings.
» Eine weitere Theorie für den Erfolg: 2012 sind unter erstaunlichen Umständen die Gebeine des Königs Richard III. in Leicester unter einem Parkplatz gefunden worden. Er war 1485 im Zuge der Rosenkriege auf dem Schlachtfeld gefallen. Im März vergangenen Jahres wurden seine Überreste in der örtlichen Kathedrale feierlich bestattet. Zu dem Zeitpunkt war Leicester Letzter. Danach gewann der Klub sieben von acht Spielen. – Die vollständige Geschichte ist bei sueddeutsche.de gegen Bezahlung zu lesen.
Der grandiose Coup erinnert an den ersten und bislang einzigen Titeltriumph von Nottingham Forest. 1978 stürmte der Aufsteiger unter Brian Clough mit nur drei Niederlagen in 42 Runden an die Spitze. Dank herausragenden und vor einem Jahr weitgehend unbekannten Figuren wie Riyad Mahrez, Jamie Vardy, Danny Drinkwater oder N’Golo Kanté schrieb Leicester im ähnlichen Stil Geschichte.
Ranieris Antwort
Im letzten Sommer drängte das Management nach diversen disziplinarischen Verfehlungen auf einer Promo-Tour in Asien auf das Engagement eines neuen Trainers: Claudio Ranieri kam, der Römer mit prominenten Ex-Arbeitgebern, aber überschaubarem Palmarès. Während drei Dekaden hatte der 64-Jährige weder mit Juventus noch mit Chelsea oder Atletico Madrid je einen Titel gewonnen. Eigenen Angaben zufolge hätten ihn die Vorgesetzten im letzten Juli bekniet, alles zu unternehmen, um nicht abzusteigen.
«Claudio Ranieri? Wirklich?», twitterte Gary Lineker spöttisch. «Gary Goal», der frühere Star-Stürmer Englands und heutige BBC-Moderator, der aus Leicester stammt, empfing den Italiener so skeptisch wie alle übrigen Kommentatoren auf der Insel. Als Bastler und Kesselflicker verunglimpften sie ihn. Einem Coach, der Griechenland in der letzten EM-Ausscheidung nicht vor einer blamablen Heimpleite gegen die Färöer bewahren konnte, traute kein Experte etwas zu.
Nun dürfte die BBC den «St. Claudio’s Day» ausrufen. Und Gray Lineker wird seinen Wetteinsatz irgendwie einlösen müssen: in Unterhosen die BBC-Sendung «Match of the Day» zu moderieren.
Met Claudio Ranieri after the game. He said „Gary, I don’t want to see you do MOTD in your pants.“ Yes you do, Claudio.
— Gary Lineker (@GaryLineker) 1. Mai 2016
Der Tycoon im Hintergrund
Der imposante Höhenflug ist teilweise auch das wunderbare Ergebnis von zufälligen Entwicklungen und glücklichen Fügungen. Der milliardenschwere thailändische Tycoon Vichai Srivaddhanaprabha beispielsweise spielte im Hintergrund als smarter Investor eine Schlüsselrolle. Er stieg ein, als sich für Leicester auf zweitklassigem Level niemand ernsthaft interessierte.
Sein Engagement im Fussball-Business kann sich der Asiate leisten – der King-Power-Eigner soll sein Vermögen innerhalb von acht Jahren nach Schätzungen von «Forbes» auf 2,9 Milliarden Dollar ausgeweitet haben. Der Duty-Free-Unternehmer sorgt dafür, dass sich der wirtschaftlich im Verhältnis zu den Cash-Maschinen ManU, Chelsea oder Liverpool irrelevante Klub sorgenfrei auf das Kerngeschäft konzentrieren kann.
» Experten rechnen der BBC vor, dass der Titelgewinn für Leicester City umgerechnet 210 Millionen Franken wert sein kann
Inlers persönliches Drama
Nur einer wird die globale Fussball-Sensation womöglich immer auch mit einem persönlichen Drama verbinden: Gökhan Inler, der Schweizer, der vor knapp zehn Monaten als Hoffnungsträger gekommen ist und mittlerweile an Spieltagen nicht einmal mehr zum Kader gehört – 2016 stand er während keiner Sekunde auf dem Premier-League-Rasen.
Inler war bei der faszinierendsten Story seit Jahrzehnten nur ein Statist mit 195 Minuten Einsatzzeit. Derweil sein Club triumphierte und alles gewann, verlor der Dauer-Reservist Inler im Nationalteam zuerst viel Kredit, dann das Captain-Amt und in Kürze auch offiziell seinen Startplatz an der kommenden Euro in Frankreich.
Die Tweets unter #fearless, dem Hashtag von Leicester City:
Die Tabelle der Premier League 2015/16 nach 36 von 38 Runden:
(Bild: rotblauapp.ch)