Ein All, zwei Stars, drei Dimensionen – Alfonso Cuaróns «Gravity» besticht.
Vor «Gravity» hat 2010 ein kurzer Film die Filmwelt in Locarno verblüfft: Damals war es die Geschichte von Yuri Lennon, einem verlorenen Astronauten, die die Aufmerksamkeit erregte. Als sein Kontakt zum Mutterplaneten abbricht, gerät er in eine ganz eigene Umlaufbahn: Er findet sich in einer Parallelwelt wieder. Das faszinierende an «Yuri Lennon’s Landing on Alpha 46» war: Ein einziger Schauspieler machte mit uns die Reise. In einer einzigen Nahaufnahme.
Mit Alfonso Cuarón hat sich nun ein Filmemacher mit einem Langfilm in eine ähnliche Leere im All getraut – mit zwei Schauspielern und einer ganz anderen Technik: Genau genommen hat er sich das All digital ins Studio geholt, wo es sich als gar nicht so leer erweist: Es ist, wie überall, wo Menschen ihren Fuss hinsetzen, voller Abfall.
3 D in Reinkultur
«Gravity» besticht erstens durch eine einleuchten eingesetzte 3-D Technik. Die Macher haben sehr wohl und sorgfältig erkannt, dass nirgendwo der dreidimensionale Raum so unendlich wirksam zur Geltung kommt wie im – unendlichen Raum. Zweitens besticht selbst in der Computeranimation Mutter Erde durch ihre bläuliche Schönheit.
Drittens überzeugt «Gravity» aber auch mit einer einfachen Konstruktion: Alfonso Cuarón braucht nur zwei Schauspieler, um uns in einer kleinen Begebenheit eine universale Geschichte in Bildern zu erzählen, die durchaus eine Dimension mehr hat als andere.
Ohne Boden unter den Füssen bodenständig
Matt Kowalsky (George Clooney) ist ein Routinier der Schwerelosigkeit, der, wie ein kleiner Junge, Purzelbäume im All schlägt. Seine Fragen haben etwas Lebensfrohes. Sein Erzählungen und Anekdoten wirken jungenhaft leicht.
Viertens produziert «Gravity» mit Bildern und Dialogen auch eine schwerelose Heiterkeit – anfangs.
Während Matt mit seinem Raumrucksack um das Hubble-Teleskop düst, und Gschichten erzählt, die ohnehin schon jeder in Houston gehört hat, soll Dr. Ryan Stone (Sandra Bullock) beim allerersten Flug im Space Shuttle gleich Reparaturen am Hubble-Weltraumteleskop durchführen. Das geht erst gut. Doch dann kommt alles anders.
Fünftens besticht nun «Gravity» mit einem traumwandlerisch treffend eingesetzten Vokabular der Bildsprache: Da schwebt ein Paar – ohne als Liebespaar kenntlich zu sein – weit von allen Konventionen plötzlich schwerelos verloren im All. Da wird ein Mensch von der Nabelschnur losgerissen. Da kann ein anderer nicht mit Nähe umgehen. Da rettet einer mit einer Trennung das Leben der anderen.
Wenn die Menschheit sich auf die beiden letzten reduziert
Platzangst wechselt mit Agoraphobie und endet in Atemnot, schliesslich werden wir auch unter Wasser noch gezwungen, die Luft anzuhalten. «Gravity» ist eine jener physiologischen Seherfahrungen, wie wir sie aus «Life of Pi» schon kennen: Ein körperlicher Parforce-Ritt des Überlebens. Wenn wir am Ende des Films endlich wieder wagen Luft zu holen, möchten wir am liebsten, wie Sandra Bullok, Mutter Erde küssen: Man wankt mit festen Boden unter den Füssen aus dem Kino. Als hätte man eben das Buch «Hundert Jahren Einsamkeit» weggelegt.
Der Film läuft zur Zeit u.a. in den Pathé-Kinos in Basel