Claudio Monteverdis Oper «Il ritorno d’Ulisse in patria» wurde nach 1977 und 2002 erst zum dritten Mal am Zürcher Opernhaus inszeniert. Willy Deckers Regie schmeichelt allen Sinnen, ohne aufzurütteln.
Penelope wartet. Seit zwanzig Jahren schon. Blutjung war sie, als ihr Gatte Ulisse sie verliess, um in den trojanischen Krieg zu ziehen. Nun ist sie alt geworden. Und verpasst über das Warten ihr Leben.
Mit «Il ritorno d’Ulisse in patria» hat Claudio Monteverdi eine Oper über die Standhaftigkeit der Liebe geschrieben – und über das Warten. Das war im Jahr 1640. Doch was bedeutet dieses Sujet in der Gegenwart? Im Zeitalter von Kommunikationstechnologien, die den Austausch in Echtzeit geradezu zum Gebot erheben, ist Warten zu einem nicht ertragbaren Zustand geworden. Zwanzig Jahre ohne Nachricht vom Liebsten auszuharren – wer macht das schon? Was bedeutet Standhaftigkeit? Was heisst Treue, damals und heute?
Ein mythologischer Stoff
Diese Fragen markieren nicht nur den Spiegel, in dem sich das Publikum schon zu Ovids Zeiten, aus dessen «Odyssee» Giacomo Badoardo das Libretto geschrieben hat, selbst reflektieren konnte. Sie treiben auch die Handlung voran. Penelopes Dienerin Melanto ist überzeugt, dass Ulisse (italienisch für Odysseus) längst tot ist. Sie bedrängt Penelope: «Liebe doch endlich wieder!» Drei zudringliche Freier werben um Penelopes Hand (und damit um die Macht über ihr Reich), doch bei der von ihr auferlegten Prüfung, den Bogen Ulisses zu spannen, scheitern alle drei kläglich. Nur Ulisse selbst, der mittlerweile mit Hilfe der Göttin Minerva zurückgekehrt ist und in Bettlergestalt verkleidet auftritt, vermag die Prüfung zu bestehen.
Doch bis Penelopes Herz und Verstand realisieren, dass ihr Wunsch endlich in Erfüllung gegangen ist, vergeht fast ein ganzer Opernakt. Das Warten und Sehnen ist zum wesentlichen Bestandteil ihrer Identität geworden, und diesen Teil aufzugeben, um einem neuen Platz zu machen, ist ein schwieriger psychischer Prozess – den Monteverdi eindrücklich in Musik setzt. Über drei Stunden äussert sich Penelope nur klagend in metrisch freien Lamentobögen, in dem für diese Anfangszeit der Oper so typischen «recitar cantando», dem singenden Sprechen, dem sprechenden Singen. Der Moment des Erkennens aber ist der erste und einzige, in dem Penelopes Melodie Schwung und Fluss, einen fröhlichen Dreierrhythmus, eine verspielte Leichtigkeit verströmt, die zuvor nur anderen Figuren vorbehalten war.
Penelopes innerer Kampf
Es ist ein glückliches Ende, das die Oper präsentiert, aber es ist ein zaghaftes Glück. Grossartig, wie Sara Mingardo mit einer angespannten Körpersprache den inneren Kampf Penelopes verdeutlicht, wie sie ihre tiefe Altstimme erst kalt und frostig, im Erkennen dann warm und weich werden lässt. Selbst dass sie als Alte-Musik-Spezialistin nicht über die gleiche Lautstärke wie ihre im klassisch-romantischen Repertoire ausgebildeten Kolleginnen verfügt, lässt sich interpretatorisch rechtfertigen: das Warten, das Nicht-sprechen-können mit ihrem Partner scheint sie über die Jahre verstummen zu lassen.
Kurt Streit als Ulisse hingegen verströmt mit seinem kernigen, wandlungsfähigen Tenor all die Kraft und Ausstrahlung, über die ein Mann seines Formats selbst in Bettlergestalt verfügt. Unter den sechzehn erstklassig besetzten Gesangspartien stechen besonders Liliana Nikiteanu mit dunklem Mezzosopran als erschüttert ergriffene Amme Ericlea hervor; Julie Fuchs als Dienerin Melanto versprüht mit ihrem strahlenden Sopran agile Lebensfreude, vereint sich willig mit dem durchdringenden Tenor von Mauro Peter als Eurimaco zu schmelzenden Liebesduetten.
Eine von drei erhaltenen Monteverdi-Opern
Das Orchestra La Scintilla begleitet bei all dem wendig und agil, auch wenn die alten Instrumente in der Opernhausakustik etwas trocken und matt klingen. Da das Werk – eine von lediglich drei erhaltenen Opern, von denen Monteverdi zwanzig komponierte – nur in einer Abschrift mit Gesangsstimmen und Basslinie überliefert ist, sind für die Instrumentierung zahlreiche Entscheidungen zu treffen. Ivor Bolton, der die Partitur einrichtete, aufgrund einer Erkrankung aber das Dirigat schon während der Proben an Robert Howarth übergab, orientierte sich an den Besoldungstabellen der damals frisch gegründeten kommerziellen Opernhäuser in Venedig und besetzt in Zürich nur je zwei Violinen, Violen, Blockflöten und Zinken sowie eine aus Cembali, Organo, Harfe, Theorben, Gambe und Violoncello bestehende Continuo-Gruppe. Damit setzt er sich vom Trend eines immer üppiger werdenden Continuos ab; doch auch mit diesen instrumentalen Vorgaben hätte man sich die Ausgestaltung des Continuos über die Länge der Oper abwechslungsreicher vorstellen können.
Die Inszenierung trifft offenbar den Geschmack des Publikums: Kein einziges Buh trübte den Applaus; während dreieinhalb Stunden verfolgte ein ungemein aufmerksames Publikum das Geschehen auf der Bühne. Auch wenn das Opernhaus Zürcher bereits 1977 und 2002 diese Oper präsentierte (was im Vergleich zum romantisch dominierten Standardrepertoire noch immer viel zu selten ist), ist diese frühe Barockmusik für viele etwas ganz und gar Neues, eine wunderbare, bereichernde Entdeckung.
Gewitzte Inszenierung
Willy Decker, derzeit einer der erfolgreichsten Opernregisseure, erzählt die Geschichte schlüssig und gewitzt, lässt die Figuren mit einer ganz in der Gegenwart verankerten Gestik agieren. Obschon alle Trauer tragen, veranlasst die festliche schwarze Kleidung (Kostüme: Susana Mendoza) den Hofstaat zu ausgelassener Feststimmung. Auch die Götter, deren Streitigkeiten das Schicksal der Menschen bestimmt, heben sich nur durch den dunklen Blauton ihrer Abendkleider ab. Während sie mit Champagnergläsern bewaffnet debattieren, gefriert das menschliche Treiben in Schockstarre. Ansonsten dreht sich die Lebensbühne als blendend weisse Scheibe (Bühne: Wolfgang Gussmann) vor rabenschwarzem Hintergrund immer wieder und immer endloser. Das Rad der Zeit nagt nicht nur an Penelope, sondern am menschlichen Dasein generell.
Warum die Produktion als Ganzes nicht völlig zu verzaubern vermag, könnte an dem unverbundenen Übereinander von drei so verschiedenen ästhetischen Richtungen und Zeitverortungen liegen. Die historisch informierte Aufführungspraxis im Orchestergraben, die das Heute zitierende Gestik und Kostümierung der Protagonisten sowie ein völlig abstraktes, sich jeder Zuordnung entziehendes Bühnenbild lässt die drei Ebenen nackt aufeinanderprallen, ohne dass sie einander befruchten. Die in gleissendes Licht (Franck Evin) getauchte, extrem karge Bildsprache wird in ihrer Radikalität weder musikalisch noch gestisch aufgegriffen. Und auch der barocke Bühnenzauber beschränkt sich auf wiederkehrende göttliche Gewittereinlagen, die bewegten Standbilder in Hochglanzästhetik wiederholen sich optisch mehr und mehr. Zum Schluss ist auch das Publikum ein Wartendes, während sich die Regie auf bewährt-bekannte Darstellungsmuster stützt, ohne ein explizites Deutungsangebot zu unterbreiten. Das mag ein wenig feige sein, doch es muss den Erfolg der Produktion nicht beeinträchtigen. Diese Inszenierung tut niemandem weh, sie schmeichelt dem Auge und bietet dem Ohr Hochgenuss. Theatergeschichte wird sie, wie die beiden Zürcher Ulisse-Inszenierungen zuvor, aber sicher nicht schreiben
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Claudio Monteverdi: «Il ritorno d’Ulisse in patria». Opernhaus Zürich. Weitere Vorstellungen bis zum 14. Juni 2014.