«Like Father, Like Son»

Wen würden Sie eher als Ihren Sohn bezeichnen: Jenen, den sie sechs Jahre geliebt und erzogen haben. Oder jener, der sechs Jahre lang von einer anderen Familie geliebt und erzogen worden ist? In «Like Father, Like Son» beweist der Japaner Hirokazu Kore-Eda erneut einen unverbrüchlichen Zukunftsglauben: Verlängern sie die schönen Seiten von Weihnachten! Erst sieht […]

Wen würden Sie eher als Ihren Sohn bezeichnen: Jenen, den sie sechs Jahre geliebt und erzogen haben. Oder jener, der sechs Jahre lang von einer anderen Familie geliebt und erzogen worden ist? In «Like Father, Like Son» beweist der Japaner Hirokazu Kore-Eda erneut einen unverbrüchlichen Zukunftsglauben: Verlängern sie die schönen Seiten von Weihnachten!

Erst sieht es wie eine glückliche Kindheit aus. Keita darf Klavier spielen. Vater ist zwar selten zu Hause. Aber Vater lobt Keita für sein Klavierspiel und intoniert die zweite Stimme, während Mutter beim Gemüserüsten den Takt dazu klopft. Aber dann trifft eine fatale Nachricht aus der Entbindungsklinik ein: Keita ist nicht der Sohn seiner Eltern. Er wurde nach der Geburt verwechselt.

Doch eine Verwechslung betrifft immer zwei. Da gibt es nämlich auch noch den richtigen Sohn Yuriri. Auch er lebt eine glückliche Kindheit bei seinen Zieheltern, die jetzt auch nicht mehr seine Eltern sind. Jetzt sieht die Kindheit der beiden mit einem Mal wie eine normale Patchwork-Kindheit aus. Welche Rechte haben nun die neuen Eltern am alten Kind?

Kinder sind kei Eigentum – was denn sonst?

Es gibt Filme, die laden dazu ein, gelesen zu werden. Hirokazu Kore-Eda macht solche. Seine Geschichten breiten ihre Bilder vor uns wie in einem Album aus. Wer darin blättert, kann Bilder entdecken, die weit mehr erzählen, als die Figuren allein es können: Fährt zum Beispiel der eine Vater zum anderen Ziehvater seines eigenen Kind, kreuzen sich im Bild, wie zufällig, zwei Hochspannungsleitungen über seinem vorbeifahrenden Auto.  Beim Ziehvater seines wahren Sohnes muss er dann feststellen, dass Yuriri, genau wie sein Zieh-Vater, den Halm beim trinken anknabbert. Da ahnen wir bereits, dass der Tausch nicht so einfach werden wird, wie das Spital sich das vorstellt.

Die beiden Familien unterscheiden sich fast in allem: Erziehungsstil, Wohngegegend, Freizeitverhalten, Lebensstandard und Bildung: Ryusei Zieh-Eltern sind einfache Menschen. Sie sind rund um die Uhr mit ihren Kindern zusammen. Sie planen nichts. Sie lassen die Dinge sich entwickeln. Wie Kinder. Kein Wunder, dass der Vater es nicht auf einen grünen Zweig im Erwerbsleben bringt.

Welche Bande wiegt stärker? Blut oder Gefühl?

Keitas Zieh-Vater ist auf der Karriereleiter auf dem Weg nach oben. Für ihn ist Keita eher ein Projekt, das planbar ist, wie die Architektur eines Hauses: Unterricht, Lernziele, Ferienpläne werden eng im Zusammenhang mit der Entwicklung des Kindes entworfen. Keito wächst wie im Hors-Sol-Gewächshaus auf: Beobachtet, betreut, gefordert, gefördert – aber ohne Bodenkontakt.

Lange sieht es so aus, als wolle Keitas Zieh-Vater Rechte für das Zieh-Kind ableiten. Aber sind denn Kinder Eigentum? Während Keitas Ziehvater aus der geleisteten Zuneigung Eigentumsrechte geltend macht, ist der andere Ziehvater eher besorgt, ob sein Ziehsohn auch weiter Drachen steigen lassen darf.

Mitten in der Weihnachtsstimmung trifft ein Film mitten ins Herz

Hirokazu Kore-Eda ist ein Regisseur, der wie kein anderer die Kindersicht beherrscht: Das hat er schon in «Nobody knows» und «I wish» grandios bewiesen. In «Like Father, Like Son» lässt er zwar erst die Eltern in einen Kampf geraten. Kurz lässt er uns glauben, dass es wohl sinnvoller wäre, wenn die beiden Kinder in der wohlhabenden Familie lebten. Doch Hirokazu Kore-Eda wäre kein grosser Geschichtenerzähler, wenn er darauf eine eindeutige Antwort gäbe. Er lässt das Pendel der Geschichte bald wieder in die andere Richtung ausschlagen. Die beiden Söhne sind nämlich durchaus alt genug, Unterschiede zu erkennen und entscheiden sich fast für die andere Familie. Aber eben doch nur fast.

So fasst Hirokazu Kore-Eda  eine Diskussion über das Erziehungsrecht ebenso weit wie das Recht auf Erziehung: Als Ryusei seinem echten Vater endlich gegenübersitzt und dieser von ihm verlangt, er solle ihn nun fortan «Vater» nennen, fragt er schlicht zurück: «Warum?». Selbst diese offene Fragestellung wäre dem Geschichtenerzähler Hirokazu Kore-Eda schon zu abschliessend.

Aus der Sicht der Kinder ist die Welt voller Zukunft

Hirokazu Kore-Eda hat aber noch weit mehr Fäden in die Geschichte gewoben, an denen wir uns noch freuen können: Zum Beispiel verblüfft uns, mitten in den Prozesswirren um die Kindsverwechslung, die Aussage der Krankenschwester, wie es zu der Verwechslung in der Klinik hatte kommen können. Plötzlich nehmen wir auch noch einen aussenstehenden Standpunkt ein: Ebenso wirft die Aussage des Grossvaters über seinen Sohn plötzlich ein anderes Licht auf ihn – als Vater. Hirokazu Kore-Eda fügt sogar noch die Ansicht eines Botanikers hinzu: Es gibt Zikadenlarven, die erst fünfzehn Jahre, nachdem sie in die Erde gelegt worden sind, schlüpfen.

Eine grossartig, reiche Disskusion über die ungeschriebenen Verträge, die Eltern in der Beziehung mit ihren Kindern, ihren Ziehkindern, ja, mit der Zukunft überhaupt eingehen.

 

Der Film läuft zur Zeit in den Kult-Kinos 

 

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