Lohnschere in der Schweiz hat sich weiter geöffnet

In der Schweiz sind die Löhne in den letzten Jahren weiter gestiegen, bloss haben nicht alle im gleichen Ausmass davon profitiert. Die tiefsten Einkommen mussten sogar Reallohneinbussen hinnehmen.

Boris Zürcher vom SECO präsentiert die Resultate (Bild: sda)

In der Schweiz sind die Löhne in den letzten Jahren weiter gestiegen, bloss haben nicht alle im gleichen Ausmass davon profitiert. Die tiefsten Einkommen mussten sogar Reallohneinbussen hinnehmen.

Boris Zürcher, Leiter der Direktion für Arbeit im SECO, sprach am Montag vor den Bundeshausmedien zwar von einer «spektakulär normalen Lohnentwicklung». Tatsächlich ist der Medianlohn in der Privatwirtschaft zwischen 2010 und 2012 in einem wirtschaftlich schwierigen Umfeld um 3,2 Prozent auf 6118 Franken gestiegen.

Der Kuchen ist aber nicht für alle grösser geworden. Die Zahlen des Bundesamts für Statistik (BFS) zeigen, dass jene 10 Prozent Arbeitnehmerinnen und -nehmer, die mit Löhnen unter 3886 Franken pro Monat am wenigsten verdienten, im Lauf der letzten Jahren zwar höhere Saläre bekamen: Zwischen 2002 und 2012 stieg ihr Nominallohn um 9,5 Prozent.

Der um die Kaufkraft bereinigte Reallohn sank in den letzten beiden Jahren dieser Periode jedoch um 0,6 Prozent, was pro Jahr 286 Franken ausmacht. Daniel Lampart, Chefökonom des Schweizerischen Gewerkschaftsbund (SGB), zeigte sich schockiert über diese Entwicklung. Bisher sei es immerhin gelungen, dass die tiefsten mit den mittleren Löhnen Schritt halten konnten. «Nun sind die untersten 10 Prozent erstmals abgehängt worden», sagte Lampart.

Hohe Löhne steigen weiter

Ganz anders sieht es am anderen Ende der Lohnskala aus: Jene 10 Prozent Arbeitnehmende, die am besten bezahlt wurden, verdienten 2012 über 11’512 Franken – 22,5 Prozent mehr als zehn Jahre zuvor. Allein in den letzten beiden Jahren konnten sie von einer Reallohnerhöhung von 7,1 Prozent profitieren, was nahezu 10’000 Franken im Jahr ausmacht.

Im internationalen Vergleich mag die Lohnentwicklung in der Schweiz erfreulich sein, doch zeigt die Lohnstrukturerhebung auch, dass die Lohnungleichheit in den letzten Jahren weiter gewachsen ist. Nach Angaben des BFS ist der Unterschied zwischen den höchsten und den tiefsten Löhnen vom Faktor 2,6 auf 3 gestiegen.

Profitiert haben Branchen, in welchen Löhne deutlich über dem Medianlohn gezahlt werden, darunter Forschung und Entwicklung, Tabakverarbeitung, Pharma oder Bankenwesen. Zu den Verlierern gehören die Arbeitnehmenden in Detailhandel, Gastronomie, Reinigung oder Coiffeur- und Kosmetikdienstleistungen. Betroffen sind vor allem Frauen: Über zwei Drittel der Angestellten mit einem Tieflohn sind weiblich.

Die Lohnstrukturerhebung 2012 liefert den Befürwortern der Mindestlohn-Initiative neue Munition. Lampart nutzte die Ergebnisse der Lohnstrukturerhebung, um für die Mindestlohninitiative des SGB zu werben, über die am 18. Mai abgestimmt wird.

Gleichmässig verteilter Wohlstand

Die Arbeitgeberseite zieht aus den Zahlen des BFS andere Schlüsse. Kein anderes Land mit Ausnahme von Luxemburg und Norwegen habe das gleiche Niveau des Wohlstands erreicht und diesen zudem so gleichmässig auf die Bevölkerung verteilt wie die Schweiz, betonte Arbeitgeber-Direktor Roland Müller. Der Schweiz gehe es «mehr als nur gut», die Debatte um den Mindestlohn sei daher verfehlt.

Gut geht es insbesondere den Topkadern: Der Mittelwert für die am besten verdienenden Bankmanager betrug 2012 über 52’000 Franken pro Monat, bei den Versicherungen waren es rund 43’300 Franken, in der Maschinenindustrie 22’400 Franken. Boni spielen dabei eine immer wichtigere Rolle.

Die Lohnstrukturerhebung wird alle zwei Jahre durchgeführt. Im Jahr 2012 umfasste sie fast 35’000 Unternehmen mit insgesamt 1,5 Millionen Beschäftigten. Die am Montag veröffentlichten Zahlen betreffen nur die Privatwirtschaft. Die Daten für den öffentlichen Sektor folgen im Juni.

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