Als der Franzose Gustave Courbet 1866 sein explizitestes Bild malte, war er sich des Skandales, das es auslösen würde, sicherlich bewusst. Selbst 150 Jahre später fühlt sich manch einer noch davon provoziert.
In der heutigen Zeit, wo Leute Fotos ihrer Geschlechtsteile via SMS verschicken, Porno-Ästhetik allgegenwärtig ist und in den Medien über die Vor- und Nachteile der Intimrasur sinniert wird, kann ein Bild wie Gustave Courbets «L’origine du monde» keinen mehr verschrecken. Denkt man. Aber liegt man damit richtig? Vor sechs Jahren noch hängte man in einer grossen Courbet-Retrospektive im Metropolitan Museum of Art in New York den «Ursprung der Welt» verschämt hinter einen schwarzen Samtvorhang. Davor ein Schild, das «Kindern» unter 18 Jahren den Zutritt verwehrte.
Ein gedanklicher Fehler. Denn der Vorhang minimiert die Sexualisierung des Motivs nicht, er verstärkt sie. Erst durchs Verstecken wird das Bild zum Skandalbild gemacht. 1866 schon, gleich nach seiner Entstehung, hing das kleinformatige Gemälde hinter einem Vorhang, in den Wohnräumen von Khalil Bey, einem türkisch-ägyptischen Diplomaten. Bey war als Spieler und Frauenheld bekannt, aber auch als Kunstsammler. Wie «L’origine du monde» in seinen Besitz gelangte, ist nicht geklärt – gut möglich, dass er nicht nur der erste Besitzer, sondern gar der Auftraggeber des Bildes war.
Bey enthüllte Courbets Gemälde, das in einem Separée hing, nur für gute Freunde. Seine Nachbesitzer taten es ihm gleich, bis hin zu seinem letzten Privatbesitzer, dem Psychoanalytiker Jacques Lacan. Dieser beauftragte gar seinen Schwager, den Surrealisten André Masson, einen verschiebbaren Doppelrahmen zu bauen. Dieser zeigte vorne ein Bild Massons: Eine Landschaft, die exakt den Linien von Courbets Gemälde folgte.
Scham und Enthüllung
Einen passenderen Besitzer als Lacan hätte es nicht geben können. In seinen Studien konzentrierte sich der Franzose vor allem auf die erotische Sublimierung bei Sigmund Freud. Und dabei spielten Scham und Enthüllung eine zentrale Rolle.
Courbet war sich wohl sehr bewusst, was sein Bild auslösen würde. Nackte Körper gehörten Mitte des 19. Jahrhunderts noch nicht zum Kanon der Kunstgeschichte – zumindest nicht die alltägliche nackte Frau. Die Reduktion dieser Frau auf ihre Schamgegend, der unverblümte Blick auf ihre Schamlippen, die fast schon hyperrealistische Malweise, die jedes Härchen sichtbar macht – eine Frechheit dürfte dies in den Augen von Courbets Zeitgenossen gewesen sein.
Schamlos, wie Courbet den weiblichen Akt aus seinem üblichen Kontext gelöst hatte. Er konfrontierte den Betrachter mit der nackten Realität. In seinem Werk geht es um Sexualität. Um Sehnsucht, um den Trieb. All dies steht am Ursprung der Menschheit. Courbet machte daraus den Ursprung der Kunst. Auch wenn die Öffentlichkeit das Werk erst Ende des 20. Jahrhunderts zu Gesicht bekam, als das Gemälde den Weg ins Musée d’Orsay fand: Es markiert einen Wendepunkt in der Geschichte der Kunst.
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«L’Origine du Monde» in Riehen: Sonntag, 7. September, läuft in der Fondation Beyeler eine Ausstellung zu Gustave Courbet an, zu sehen ist auch der «Ursprung der Welt». Mehr über den Maler.