Sie agierten in ihrem Privatleben unter einem Damokles-Schwert und wagten es dennoch, mit ihren Werken gesellschaftliche Normen zu sprengen. Eine neue Ausstellung in London feiert schwule Kunst.
Verschlüsselte Liebesbotschaften, anziehende Körper, sensible Porträts und verdrehtes Rollenspiel waren die Waffen, mit denen homosexuelle Künstler über Jahrhunderte gegen gesellschaftliche Vorurteile und ihre eigene sexuelle Unterdrückung kämpften.
Die Galerie Tate Britain in London nimmt nun den 50. Jahrestag der Legalisierung von Sex zwischen homosexuellen Männern zum Anlass für die erste grosse öffentliche Ausstellung über schwule Kunst in Grossbritannien. «Queer British Art 1861-1967» läuft bis zum 1. Oktober.
Sie nimmt die Abschaffung der Todesstrafe für sogenannte abartige sexuelle Handlungen 1861 als Ausgangspunkt und endet mit der teilweisen Legalisierung von homosexuellem Sex 1967. Nach Angaben von Tate Britain-Direktor Alex Farquharson erklärt die «enthüllende Schau» die Relevanz der Künstler und ihrer persönlichen Geschichten für die Gesellschaft heute.
«Welt der Zweideutigkeiten»
Begonnen wird mit den «verschlüsselten Gelüsten» der angeblich so prüden viktorianischen Zeit. Bedeutende Maler wie Frederic Leighton oder Simeon Solomon schufen in einer «Welt der Zweideutigkeiten» Werke, die einer «homoerotischen Interpretation» offenstanden.
In Anlehnung an die Bibel, die Antike oder die italienische Renaissance konnten so häufig gleichgeschlechtliche Zuneigung oder etwa «die Darstellung von Jünglingen mit den sanften Konturen einer weiblichen Brust» trotz kritischer Stimmen gesellschaftsfähig werden, heisst es in der Ausstellung. Solomon wurde 1873 in einer öffentlichen Toilette verhaftet und verurteilt. Er starb 1905 in einem Armenhaus.
Die Ausstellung schliesst mit den vergleichsweise expliziten Werken der inzwischen weltberühmten zeitgenössischen Künstler Francis Bacon und David Hockney. Die beiden Giganten der «Queer Art» hätten mit ihren «furchtlosen Darstellungen von gleichgeschlechtlicher Lust kontinuierlich die Grenzen des in der Kunst Möglichen getestet und damit neue bahnbrechende Wege eingeschlagen», heisst es in der Tate.