Auch wir Schrot&Kornler sind nicht nur verbitterte Zyniker: Als ich heute Morgen Zeitung und die berührende Geschichte eines unverstandenen FCB-Fans las, erhielt ich Einsichten ins kosmische Gezeitenspiel. Wow, war das emotional.
Auch wir Schrot&Kornler sind nicht nur verbitterte Zyniker: Als ich heute Morgen Zeitung und die berührende Geschichte eines unverstandenen FCB-Fans las, erhielt ich Einsichten ins kosmische Gezeitenspiel. Wow, war das emotional.
Wie ich heute Morgen auf dem Balkon sass, die Beine weit von mir gestreckt und die vom nächtlichen Gewitter gewaschene Luft meinen abgeschlafften Organismus erfrischen liess, da wusste ich: Das wird ein feiner Tag.
Die Zeitung aufgeschlagen, an der zweiten Mimosa nippend stellte sich jenes Wohlbefinden ein, das von einer Art kosmischer Übereinstimmung herrührt. Plötzlich gehen alle Gleichungen auf und aus der fremden, strukturlosen Masse, durch die wir uns jeden Tag aufs Neue einen Weg bahnen müssen wie Moses, als er vor dem Roten Meer stand, treten die Konturen jedes Einzelnen deutlich sichtbar hervor. Ein Gefühl der Erhabenheit flutet die Synapsen: Sympathie für die Welt und alle ihre Lebensformen.
Selbst für solche, die man nur aus der Zeitung kennt. BaZ, Regionalteil. Irgendein Brunnen in Riehen muss wegen der Neugestaltung des Dorfzentrums versetzt werden. Die SVP-Clique hat nach den Parkplätze-gehen-verloren-Märchen und Gewerbler-sind-empört-Erfindungen endlich eine tatsächliche Konsequenz des Umbaus gefunden. Statt Neid, diese brisante Recherche nicht dem eigenen Schaffen abgerungen zu haben, bemächtigt sich meiner ein der erhöhten Empathie zuzuschreibendes Triumphgefühl: BaZ-Autor Mischa Hauswirth hat seine schwere Depression nach der Wahlniederlage von Edi Rutschmann (SVP) überwunden und es wieder mal allen gezeigt.
Noch ein Sipp Mimosa. Amseln zwitschern in den Ästen. Zurückblättern auf die Frontseite. «Die Linke spielte auf Zeit», heisst es im Anriss einer Aufdeckungsgeschichte aus dem Bundesparlament. In einer Subkommission wurde vor der Abstimmung über die Masseneinwanderungsinitiative am 9. Februar ein Bericht zurückgehalten, der den Vorwurf entkräftete, es fände eine Einwanderung in die Sozialwerke statt. Fredi Heer (SVP), Präsident der Subkommission, habe die Veröffentlichung vor dem Urnengang gewollt, die Linke das aber dem Vernehmen nach mit immer neuen Anträgen blockiert. So dass Fredi Heer (SVP), offensichtlich eingeschüchtert durch die Linken, am Schluss per Stichentscheid die Verschiebung verfügte.
Ich war verblüfft. Wie in einer spannenden Kriminalgeschichte ist auf der letzten Seite nicht derjenige der Täter, auf den alle Indizien hindeuten. Kausale Stringenz macht eben noch keine gute Unterhaltung aus. Miss Marple vom Aeschenplatz. Mein Herz war ganz beim Blattmacher, der einer schwierigen Geschichte den richtigen Dreh gegeben hatte. Er war ganz bestimmt zufrieden eingeschlafen letzte Nacht.
Kann die Lektüre noch besser werden? Sie kann. Reporter Aaron Agnolazza (SVP) ist dran geblieben. Gut so. Er hat bei einer Geschichte nicht locker gelassen, wo viele von uns (ich gestehe: auch mich) der Mut längst verlassen hätte. Zuvor hatte Agnolazza bereits aufgedeckt, dass der Chef einer privaten Kommunikations- und Beratungsfirma Staatsaufträge erhalten hat und dafür auch noch bezahlt wurde. Glücklicherweise vermag die moralische Verkommenheit dieses Geschäftens meine tiefe Zufriedenheit über Agnolazzas Hartnäckigkeit nicht zu beschädigen: Heute stellte er den Unhold.
Aber ich verspüre auch Scham über meine mangelnde kritische Distanz gegenüber dem polyzephalen Monster Staat und all seinen Günstlingen. Kürzlich hat mir ein Whistleblower unter Zusicherung absoluter Vertraulichkeit geflüstert, Beamte würden mit Steuergeldern bezahlt. Ich bin der Sache nicht nachgegangen.
So enden meine luziden fünf Minuten in Selbstzweifel, ich bin gerührt und aufgewühlt, die Nervenspitzen, sie sind wund gefühlt. Wehmütig bin ich, einen Schmetterlingsflügelschlag lang, in der Gewissheit der Flüchtigkeit dieses Moments der journalistischen Aufrichtigkeit. Die Welt ist wieder weit weg, doch ich bin mir näher gekommen.
Disclaimer: Die parlamentarische Subkommission für von emotionalen Grenzerfahrungen begleiteten selbstreflexiven Medienkonsum rät aus erkenntnistheoretischen Gründen, den Augenblick kosmischer Einsicht zu nutzen und sich der sogenannten Basler Fankultur zu nähern.
Ich lese also wie verordnet in der Kurvenpostille «Befreyigsschlag», die am Sonntag im Stadion verteilt wurde, die berührende, zum Nachdenken geradezu verpflichtende Geschichte von Tim, 22.
Du bist ein Feuerzeugwerfer von Salzburg. Es geht dir nicht besonders gut, seit du zurück bist. Die Leute verurteilen dich. Sie sprechen dir in ihrem grausamen Hochmut gar die Liebe zu deinem Verein ab. Dabei warst du, das wird schnell klar, ein Spielball deiner Emotionen. Du hast aus deiner uferlosen Liebe zu diesem Verein gehandelt. Die Ereignisse siehst du heute aus der Vogelperspektive: Da kam dieser Salzburger Gockel Kampl, er stand da hin, wollte ’ne Ecke treten, wich ’nem Wurfgeschoss aus, beschwerte sich beim Ref. Unglaubliche Provokation. Da hast du getan, was du getan hast – aber hast du es wirklich getan, oder hat es nicht viel mehr etwas mit dir getan?
Tränen fluten mein Gesicht. Ich verstehe. Verstehe alles, dich und deine tragische Hingabe bis zur Selbstzerstörung. Deine unerwiderte Liebe in diesen schweren Minuten in Salzburg, als das Spiel gegen deinen Club lief. Ich werde wütend darüber, dass immer nach dem Schuldigen gefragt wird. Wo doch jeder gelernt haben muss, dass in diesen postmodernen Zeiten immer die Umstände schuld sind. Das wussten schon die Ärzte: