Benjamin Huggel ist, war ein ganz spezieller Fussballer, einer, wie es ihn wahrscheinlich nie mehr geben wird. Ein paar, möglicherweise etwas gar emotionale Worte zu seinem Abschied.
Zuerst eine Bemerkung in eigener Sache: Der TagesWoche unterlief eine folgenschwere Fehleinschätzung. Sie ging davon aus, dass an der Pressekonferenz des FC Basel vor dem Spiel gegen Thun nicht viel Weltbewegendes mitgeteilt würde – und schickte ihre beiden Fussballexperten in die Ferien. Als Ersatz liess man für einmal mich ran, einen zwar ebenfalls leidlich um Objektivität bemühten Journalisten, aber eben auch: einen Fan, der es beim Thema Fussball seit jeher übertreibt und an diesem Freitag vielleicht sogar noch etwas mehr Fan ist als ohnehin schon.
Ich bitte also um Verzeihung, wenn ich jetzt schreibe, dass dieser Abschied schmerzt. Dass Benjamin Huggel ein ganz spezieller Spieler ist («war» will und kann ich nicht schreiben), einer, wie es ihn nie mehr geben wird. Huggel ist kein gemachter Fussballer, kein hochgezüchtetes Produkt, der aus irgendeinem Fussballinternat oder einem ausgeklügelten Scouting-System herausgespuckt worden ist. Nein, Huggel ist einfach Huggel, nicht mehr und – vor allem – nicht weniger. Ein Spätberufener, der bis 21 noch für den FC Arlesheim spielte, nachdem er für einen Matchball von Münchenstein dorthin transferiert worden war. Natürlich war er aber auch schon damals regelmässig im Joggeli – als Fan. In der Region gibt es wahrscheinlich keinen auch nur halbwegs Fussball-Interessierten, der nicht jemanden kennen würde, der in irgendeiner unteren Liga schon mal mit oder gegen Huggel gespielt hätte oder mit ihm im Stadion gewesen wäre. Irgendwie war Huggel schon immer einer von uns und das ist er auch geblieben.
Als man ihn von der Fankurve auf den Platz liess, zeigte er schon bald, dass er ein ganz besonderer Spieler ist, ein Stratege und gleichzeitig ein Chrampfer, der auf dem Spielfeld die Drecksarbeit verrichtet, Löcher stopft und auch mal hinlangt, wenn es sein muss. Die Spezialisten würden hier wahrscheinlich eher von «taktischen Fouls» sprechen, Huggel selber mag es aber ebenfalls direkt.
Als Fussballer muss man auch mal eine Drecksau sein, sagte er im Interview mit der TagesWoche: «Die Zuschauer wollen doch nichts anderes, als Helden bejubeln und sie scheitern sehen. Also muss man kämpfen.» Und Huggel kämpfte, heldenhaft, und doch wurde er von den Massen nicht so bejubelt wie die Glänzer und Schönspieler in der Offensive, denen pro Spiel drei, vier schöne Szenen reichen. Mit dieser Ungerechtigkeit hätte sich der Chrampfer wahrscheinlich sogar noch abfinden können. Geärgert haben ihn aber die Sportjournalisten, die seine schnörkellose Spielweise ebenfalls nicht besonders mochten, ihn teilweise sogar belächelten wie die vielen selbsternannten Experten in Deutschland während seines Gastspiels bei Eintracht Frankfurt. Aber was verstehen die Deutschen auch von Fussball!
Das hätte sich auch Huggel gut sagen können. Doch Huggel ist keiner, der jede Kritik gelassen hinnimmt. Er kann auch recht unwirsch werden, wie mehrere Sportjournalisten glaubhaft versichern. «Ich bin eben ein Gerechtigkeitsfanatiker», begründet der böse Huggel sein Verhalten.
Die Fans werden ihn ganz anders in Erinnerung behalten: als Kämpfer auf dem Platz, als Stimmungsmacher und Värslibrünzler bei den Meisterschaftsfeiern auf dem Barfi, als Fasnächtler, als Identifikationsfigur.
Und natürlich wird auch sein Tritt in den Hintern des türkischen Assistenztrainers Özdelek unvergesslich bleiben. Der Gingg wurde zu dem Tritt schlechthin, tausendfach wiederholt in Fernsehen und von der Fifa hart bestraft. Wegen der Spielsperren verpasste Huggel die WM 2006, ein Tiefpunkt in seiner Karriere. Als Fan hielt man das selbstverständlich für ungerecht. Schliesslich hat sich Huggel, der Gerechtigkeitsfanatiker, einfach gewehrt gegen die Angriffe der Türken.
Gut, man könnte jetzt vielleicht einwenden, jemandem einen Tritt von hinten zu versetzen und danach so schnell wie möglich wegzulaufen, sei nicht gerade die feine Art. Das stimmt. Aber dafür ist es schlau. Und das ist Huggel. Wie schlau und wie intelligent, zeigte er vor Kurzem wieder einmal sehr schön in einem Interview mit der TagesWoche: Finanzkrise, Kindererziehung, Bausparen, Huggel hatte zu jedem Thema etwas zu sagen, witzig, differenziert und dennoch bodenständig. Vor der Publikation moserten redaktionsintern einzelne Fussballignoranten und YB-Fans (ja, auch das gibt es bei uns, wir sind eben tolerant!), für einen FCB-Fussballer fünf wertvolle Zeitungsseiten freizuräumen sei masslos übertrieben. Nach der Lektüre war auch der YB-Fan zufrieden. Gibt es ein grösseres Kompliment?
Toll, dass Huggel zusammen mit den Vereinsverantwortlichen in langen und wahrscheinlich nicht sehr einfachen Gesprächen eine Lösung für eine weitere Zusammenarbeit gefunden hat. Auch wenn der heute 34-Jährige auf dem Platz nicht mehr schneller wird, kann er den FCB, seinen FCB, noch immer weiterbringen.
Als Chrampfer, als Denker, als Vorbild für die jungen Spieler.
Und das Schönste ist für hoffnungslose Nostalgiker wie mich: dass sein Engagement wenige Tage nach jenem von Massimo Ceccaroni als neuem Nachwuchschef bekannt gegeben worden ist. Sie beide – Cecca noch sehr viel mehr als Huggel – verkörpern nämlich auch noch den alten FC Basel, den weniger erfolgreichen, der mehrere Jahre in der Nati B spielen musste und sich auch nach dem Wiederaufstieg noch schwer tat. Jenen FCB, den man als richtigen Fan vielleicht fast noch mehr liebte als die heutige Erfolgsmaschinerie, gerade wegen der vielen tragischen Niederlagen, der immer wieder aufkeimenden Euphorie, der ewigen Hoffnung. Es war ein Wahn oder netter ausgedrückt: eine wahre Liebe. Die Modefans jubelten damals noch GC zu.
Diese alte Leidenschaft wird rund um den FCB nun weiterleben. Mit Ceccaroni. Und mit Beni Huggel. Hoffentlich sieht er selber das ebenfalls so, auch in seiner neuen Rolle als Assistenztrainer der U-21-Mannschaft. Denn was sagte er im Interview mit der TagesWoche auf die Frage, ob er Angst habe vor der Leere nach dem Fussballerleben? «Ja», antworte er: «Ich habe schon als Kind immer Fussball gespielt, dann hatte ich das Glück, meine Leidenschaft zum Beruf zu machen. Wenn das wegfällt, wird sich schon eine Leere auftun.» Wenigstens ist er jetzt nicht ganz weg vom Fussballgeschäft, vom FCB, von uns.
Machs gut, Beni!