Verdi ist als grosser Opernpionier bekannt – und als verschlossener Aussenseiter. Wer war er eigentlich? Zum 200. Geburtstag sechs Dinge, die man über ihn wissen muss.
Musik ab!
1. Verdi rückt nicht raus
Am 9. Oktober 2013 ist Guiseppe Verdis 200. Geburtstag. Oder am 10., das weiss niemand so genau. Verdi selbst entschied sich, am früheren Datum zu feiern. Das Geburtsdatum ist nicht die einzige Ungewissheit über das Leben des norditalienischen Komponisten. Er sprach sehr ungern von sich selbst, weder von seinem Fühlen noch von seinem Denken. Zu einer autobiographischen Schrift liess er sich nur durch hartnäckiges Drängen bewegen – sein Leben sollte die Nachwelt interessieren? «Was ich geleistet habe, hat keine bedeutenden Folgen. Und dann kann ich dieses Schreiben über das eigene Leben nicht leiden.»
2. Wo Europa brummt, steht Verdi am Rand
Verdi verriet nicht nur wenig von sich, er hielt sich überhaupt meistens raus. Als Schüler in Busseto, einem Städtchen in der Provinz Parma, stand er meist schüchtern am Rand, spielen war nicht seins. Zugleich hatte der Aussenseiter etwas, das seine Mitschüler beeindruckte. Etwas Ernstes und Versonnenes umgab ihn. Doch Aussenseiter blieb er sein Leben lang. Im Salon des Ehepaars Maffei zu Mailand, in dem sich Grössen wie der französische Schriftsteller Honoré de Balzac einstellten oder der Vordenker der italienischen Revolution, Giuseppe Mazzini, (jeweils von der Dame des Hauses bodenlos hofiert) versteifte sich Verdi auf brummelige Anwesenheit. Später wurde ausgerechnet Paris zur Stadt seines Herzens, nach London der hektischste Ort Europas. Was ihn hier reizte, war jedoch nicht der gesellschaftliche Trubel, sondern – im Gegenteil– die Möglichkeit, als Aussenseiter nicht aufzufallen.
3. Tyrann und Sauhund
Doch das ist nur die halbe Wahrheit. Verdi konnte auch anders. Erstens: als Tyrann. Wenn es darum ging, eine Komposition zustandezubringen oder eine Inszenierung aufzugleisen, konnten ihm Krallen wachsen. Bei den Arbeiten an Macbeth 1846/47 schrieb er seinem treuen Librettisten Francesco Piave: «Mach schnell, wenn du nicht willst, dass ich in Wut gerate.» Der war daraufhin so gekränkt, dass er monatelang nicht von sich hören liess. Bei den Proben, er hielt Macbeth für seine bislang gelungenste Oper, wurde Verdi zum Pedanten. Man erzählt sich, dass einige Beteiligte ihm fast an den Hals gesprungen wären.
Auch in anderer Hinsicht war Verdi alles andere als verschlossen. Er liebte es zum Beispiel, wenn auch in geschütztem Rahmen, deftig rumzusauen. Einen Brief an denselben Piave schliesst er mit den Worten: «Sieh zu, dass du zu einem guten Fick kommst… Viel Spass! Viel Spass!» Auch als galanter Schreiber von Liebesbriefen an seine zweite Lebensgefährtin Giuseppina Strepponi versuchte er sich, wenn auch mit zweifelhaftem Erfolg: «Ich wünsche Ihnen ein Meer von Gesundheit, und erinnere Sie daran, dass ich ganz Zärtlichkeit bin. Ich sterbe vor Zärtlichkeit.»
4. Der Mythos vom ungebildeten Bauernsohn
Der ältere Verdi setzte das Bild in die Welt, er sei damals als armes und ungebildetes Bauernkind in die Welt gezogen. Das stimmt nicht. Sein Vater war Dorfwirt, durchaus wohlhabend und ermöglichte ihm eine Schulbildung. Von Musikunterricht wollte er freilich nichts hören. Als er zehn war, sprang Verdi für den verstorbenen Dorforganisten ein, worauf der Gemeinde die Kinnlade herabging. Ans Konservatorium in Mailand schaffte es Verdi später trotzdem nicht. Es könne schon was aus ihm werden, fanden die Juroren. Aber er müsse lernen, seine Fantasie zu zügeln. An die Öffentlichkeit schaffte es der Komponist relativ spät – bei der Premiere von Oberto an der Mailänder Scala war er 26 Jahre alt – aber dann mit steilem Aufwind. Mit 29 war er in Mailand bereits so erfolgreich, das er sein Honorar im Voraus selbst bestimmen durfte.
5. Eine fast geschmissene Laufbahn
Ebenfalls mit 26 waren Verdi beide Kinder und seine erste Frau Margherita Barezzi weggestorben. Seine Frau war wohl keine Schönheit, dafür äusserst liebenswert. Verdi fiel in eine tiefe Krise, nistete sich in eine finstere Wohnung ein, las Schundromane und wollte nie mehr komponieren. Zu allem Überfluss hatte er an einer Komödie gearbeitet, die, wenig verwunderlich, misslang. Das Unbeschwerte war sein Thema nicht. Erst im Spätwerk führte er ein paar süffige Figuren gelungen ins Happy End.
Aus seiner Krise führte ihn ausgerechnet das Libretto zum biblischen Stoff Nabucco, das per Zufall aufgeschlagen auf seinem Tisch landete. Ein Vers fiel ihm in die Augen und brannte sich ins Hirn: «Lass eine bittere Klage erklingen oder empfange Töne vom Herrn, die uns die Kraft zum Dulden verleihen.» Der Erfolg der Premiere 1842 war so rauschend, dass Mailand erst nach dem Champagnerfrühstück zu Bett ging. Und Verdi hatte sein Gebiet wiedergefunden: Die Tragödie des scheiternden Menschen, bei der seine Menschlichkeit zutage tritt.
6. Ein freier Geist
Verdi war kein Revolutionär, aber ein freier Geist. Sein erster Vermieter in Mailand warf ihn auf die Strasse, weil er ihm nachsagte, Verdi sei in allen Betten zuhause. Später zog er Empörung auf sich, da er mit Giuseppina Strepponi zwar zusammenlebte, sie aber lange Zeit nicht heiratete. Verdi verteidigte sich wortstark: «In meinem Haus lebt eine Dame, die frei und unabhängig ist. Nehmen Sie nicht die Ideen der Provinzwelt an!» Seine Leidenschaft für die revolutionären Ideen seiner Zeit war entsprechend glühend. Auch wenn er sie nicht aktiv vorantrieb, gingen sie ihm zum Teil sogar über seinen Beruf. «Du redest mir von Musik», schrieb er 1848 an Piave, «Du denkst, dass ich mich jetzt mit Noten und Tönen beschäftigen will?»