Der Vormarsch von Dschihadisten im Irak hat im arabischen Raum eine neue Flüchtlingskatastrophe ausgelöst. Neben Millionen Syrern sind jetzt auch mehr als eine Million Iraker auf Hilfe angewiesen. Internationale Organisationen kommen kaum nach.
Innerhalb einer Woche eskalierte die Lage im Irak dramatisch. «Die Kämpfe um Mossul, Kirkuk, Tikrit, Ramadi oder Falludscha machen immer mehr Menschen obdachlos», sagt der Leiter der Mission der Ärzte ohne Grenzen (MSF) im Irak, Fabio Forgione. Seiner Einschätzung nach dürften inzwischen 1,2 Millionen Iraker auf der Flucht sein.
Die jüngste Flüchtlingswelle wurde mit der Einnahme der Millionenstadt Mossul durch die Terrorgruppe Islamischer Staat im Irak und in der Levante (ISIS) am vergangenen Dienstag ausgelöst. Inzwischen kämpfen Soldaten in grossen Teilen des Landes gegen Extremisten – auch wenige Dutzend Kilometer nördlich der Hauptstadt Bagdad.
Flucht in kurdische Autonomiegebiete
Ein Grossteil der Flüchtlinge macht sich auf in die kurdischen Autonomiegebiete im Nordirak – die als sicher gelten. «Die Behörden richten gerade vier Flüchtlingscamps ein», sagt Forgione. Doch die Hilfe laufe sehr langsam an. «Wir kämpfen, um die Grundbedürfnisse der Menschen zu erfüllen und sie mit Lebensmitteln, Unterkunft und Medikamenten zu versorgen.»
Sorgen bereiten MSF vor allem die chronisch Kranken. «Es gibt nur wenige Spitäler in der Region und die sind vollauf mit den Notfällen beschäftigt», betont der Missionsleiter.
Seine Teams versuchten nun, denen zu helfen, die durch die Kämpfe keinen Zugang mehr zu den von ihnen benötigten Medikamenten haben. «Aber es dürfte auch noch Tausende Familien geben, die im Moment gar keine humanitäre Hilfe erhalten.»
Es sind vor allem Iraker aus Mossul und der westlichen Provinz Anbar, die zunehmend auf Hilfe angewiesen sind. Die Vereinten Nationen gehen von rund 500’000 Flüchtlingen aus Mossul und 480’000 aus Anbar aus.
In Anbar begann die Krise schon vor Monaten. In einigen Gebieten hatten sich ISIS-Kämpfer bereits im Januar festgesetzt und eine Massenflucht der dortigen Bevölkerung ausgelöst.
Langwierige humanitäre Krise erwartet
Mandie Alexander, Notfallkoordinatorin der Internationalen Organisation für Migration (IOM) im Irak sieht die Situation pessimistisch: «Wir erwarten eine langwierige humanitäre Krise», sagt sie. «Die Lage verschlechtert sich rapide.»
Nach UNO-Angaben sind 200’000 Menschen aus Mossul in die Kurdenprovinz Dohuk geflohen. Weitere 100’000 hätten in Erbil Zuflucht gesucht. «Sie sind in Camps, Moscheen, Schulen und sogar bei entfernten Verwandten oder Bekannten untergekommen», sagt Alexander. Die Flüchtlingsorganisationen arbeiten mit Behörden in den kurdischen Gebieten zusammen, um die Menschen mit dem Nötigsten zu versorgen.
In Jordanien blieb der Zustrom von Flüchtlingen aus dem Nachbarland zunächst aus. In den Jahren 2006/2007, als im Irak schon einmal bürgerkriegsähnliche Zustände herrschten, war Jordanien eines der wichtigsten Aufnahmeländer.
Derzeit überquerten lediglich immer mal wieder einige Hundert Menschen die Grenze, sagt der Büroleiter der Hilfsorganisation World Vision in Jordanien, Steffen Horstmeier. «Aber sollten Tausende kommen, werden wir einigermassen gerüstet sein.» Nach Jordanien sind bereits mehr als eine Million Syrer geflüchtet.