Mein Ekel über Ecopop

Alois-Karl Hürlimann gibt seinem Ekel über die Weltsicht hinter der Ecopop-Initiative Ausdruck. Als Auslandschweizer habe ich dieses Mal bereits abgestimmt. «Nein» zur Ecopop-Initiative. Ich habe das Stimmcouvert per Post an die Amtsstelle in Basel gesandt, welche dann meine Stimme zählen wird. Ich habe den Versand rechtzeitig getätigt. In diesem Text führe ich bewusst den Begriff […]

Idyllisch, aber nicht unberührt: Schweiz pur am Sihlsee bei Einsiedeln.

Alois-Karl Hürlimann gibt seinem Ekel über die Weltsicht hinter der Ecopop-Initiative Ausdruck.

Als Auslandschweizer habe ich dieses Mal bereits abgestimmt. «Nein» zur Ecopop-Initiative. Ich habe das Stimmcouvert per Post an die Amtsstelle in Basel gesandt, welche dann meine Stimme zählen wird. Ich habe den Versand rechtzeitig getätigt.

In diesem Text führe ich bewusst den Begriff Ekel in die Ecopop-Initiativdiskussion ein. 

Mich ekelt diese Ecopop-Weltbetrachtungsweise wie kaum etwas an, was mich in meinen inzwischen 70 Jahren in politischer oder allgemeiner gesellschaftlicher Observanz hin und wieder angeekelt hat: 

Diese Ecopop-Initiative ist gesättigt von einer unerträglichen Überheblichkeit: 

 «Die» Schweiz soll bevölkerungsmässig nur noch so wachsen, dass alles so bleibt, wie es heute ist – Einfamilienhaus, ein wenig «grünes» Schwupsdiwups, nebst einem Vierradantriebs-Jeep vor dem Haus, mit einer Ziege oder einer Kuh im Geräteschuppen (natürlich nicht ernst gemeint), einem Tag Vegetarismus oder gar Veganismus pro Woche, schliesslich soll man nicht zu viel Fleisch…vielleicht aber trotzdem mit dem einen oder anderen Hasen im Hasenstall, den man dann winters abschlagen, abhäuten und als Hasenpfeffer nach alter Vätersitte aufessen kann (bei den SVP-Kantonalpartei-Ja-Beschlüssen wahrscheinlicher als Vegetarisches oder gar Veganes) – bei Kerzenlicht oder unter dem Alpenglühen irgendwo in irgend einem Oberland, dem Zürcher SVP-Oberland oder dem Berner SVP-Oberland oder in den engen Tälern des St.-Galler SVP-Toggenburg oder im SVP-Hinterthurgau …

Die Schweiz ist in keiner Weise unberührt

Eine unberührte Idylle, die gegen die «schweizfeindliche Umwelt», verkörpert durch «die» Ausländer, welche in der Schweiz wohnen, weil sie in der Schweiz arbeiten, Steuern zahlen, die Sozialwerke mit ihren Abgaben äuffnen und den Wohlstand im Land fördern. 

Nur:
Die Schweiz ist in keiner irgendwie zu betrachtenden Situation sowohl in ihrer Gestalt als in ihrer gesellschaftlichen Realität «unberührt». 

Sie lässt (als Staat), was das Verhältnis zur so genannten Natur betrifft, unter allen Gegenden, welche ich in meinem Leben kennen gelernt habe, permanent so ziemlich die grössten Zerstörungen von «Natur» zu. 

Man zähle nur mal all die Stauseen in den Voralpen (etwa im SVP-seligen Wäggital oder, geografisch gesehen in der direkten Nachbarschaft, im einbürgerungsfeindlichen Einsiedeln mit seinem Sihlsee) und in den Alpen auf. 

In meiner Jugendzeit in den Fünfzigerjahren des letzten Jahrhunderts war man als «Schweiz» stolz auf die höchste Staumauer der Welt, diejenige von Grand Dixence. 

Allerdings:
Diese Beispiele zeigen auch, dass Natur zurückgewonnen werden kann. Genauer: Dass sie in der bei ihr durch Menschen, aber auch durch sie selber verursachten ständig ablaufenden Transformation mitmacht. Der Mensch und die Natur: Es findet ein Austausch statt. Keine Idylle, sondern das, was erforderlich ist, um leben, sich betätigen, reisen, auch spazieren, sich erholen zu können. Und so ist der Wäggitaler See nicht mehr aus der Natur des Tales wegzudenken, und der Sihlsee auch nicht und viele andere Stauseen genau so wenig. 

Auch und gerade zahlreiche Menschen, welche die Natur ihrer unmittelbaren Umgebung in das Leben, das sie leben, einbeziehen wollten und wollen, haben das immer auch als Leben und Gestalten mit der Natur verstanden. 

Mein Vater war Hobbygärtner. Er pflanzte einige Apfelbäume, eine Kiwizucht, zweigeschlechtlich, an der einen Hauswand seines Mehrfamilienhauses zog er Aprikosen hoch, nebenan Weintrauben und jedes Jahr baute er eine grosse Tafel von Gemüse an, Gurken, Zucchetti, Kartoffeln, Karotten, Randen, Blumenkohl, Rosenkohl, Spinat und so weiter, und natürlich fehlten die Tomaten nicht und nicht die Brombeeren und die Himbeeren und die Kräuter. Er begleitete das Wachstum aufmerksam, düngte nie künstlich, sondern immer aus dem Komposthaufen, wässerte, schnitt. Er war Lebensteil seiner Pflanzen wie seine Pflanzen Lebensteil seiner Existenz waren.

Natur gestalten, damit sie lebt. 

Das und vieles andere ist Leben in der Natur. Denn Leben in der Natur bedeutet, dass man sich mit dem Leben der Anderen, der Gesellschaft, genau so auseinandersetzt wie mit dem Leben der Bäume, der Hunde, der Schlangen und der Wale in den grossen Gewässern der Erde. 

Was nun «die» Schweiz und ihr Leben in ihrer natürlichen Umwelt, nämlich Mitteleuropa, betrifft:

Zwei Katastrophen, passiert zu meinen Lebzeiten, welche in dieser Schweiz seit Jahr und Tag verschwiegen werden, stehen in Westeuropa ziemlich einmalig in der Gegend herum: 

Der Staumauerrutsch von Mattmark – knapp an einer Riesenkatastrophe vorbeigerutscht! Und jenes «Vorkommnis» im Berg von Lucens im Waadtland, welches als eine der grössten Katastrophen der Atomwirtschaft bekannt ist – international. Natürlich nicht in der Schweiz.

Dazu, zur Erinnerung an die Geschichte schweizerischer Peinlichkeiten, die man unbedingt hätte auslassen müssen, wenn man auch nur ein wenig gesellschafts- und geschichtsbewusst veranlagt gewesen wäre, bezogen auf die natürlich gegebene Umwelt, bezogen auf die unmittelbaren Nachbarn in Italien, in Österreich, in Deutschland und in Frankreich, bezogen auf Polen oder Belgien, die Niederlande oder Griechenland und die damalige Sowjetunion:

Das einzige Land in Europa, welches den «Ausbruch» des Zweiten Weltkrieges, das heisst Hitlers und Deutschlands Überfall auf Polen als Grossereignis 50 Jahre später, 1989, unter dem Namen «Diamant» und schlussendlich auch noch mit mehreren grossgekotzten Militärparaden «feierte», war die Schweiz, nebst Schweden, Portugal und Irland (Spanien war bis 1939 in einem mörderischen Bürgerkrieg kriegsgeschädigt) das einzige vom grauenhaften Krieg nicht berührte Land auf dem Kontinent.

Alle anderen, die vom Krieg wirklich betroffenen Länder, gedachten der Kriegsopfer, der Kriegszerstörung, der Millionen getöteter Kinder, Zivilisten, Juden, Romas, Kommunisten, Sozialisten, Griechen, Italiener, Norweger, Franzosen, der 20 Millionen getöteter Russen, der gefolterten und hingemetzelten Widerstandskämpfer gegen den Faschismus 50 Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges, also 1995, mit Büchern, mit Filmen, mit Diskursen, mit stillem Gedenken. 

Vor allem aber:

Seit dem Ende des zweiten Weltkriegs hat sich in Westeuropa eine politische Entwicklung ereignet, welche vom Willen der Politik in vielen Ländern ausging, in Europa keinen Krieg mehr zuzulassen.

Die Schweiz tat so, als ginge sie das alles nichts an. «Diamant» war das militärisch-politische Bekenntnis, nicht zu Europa gehören zu wollen. Das Ding beruhte auf einem Verständnis von «Geschichte», welche groteske Züge einer Selbstüberhöhung aufwies, die leider viel zu wenig hinterfragt worden ist.

Dummerweise kam dieser «Diamant»-Übung dann allerdings die europäische politische Realität arg in die Quere. 

1989! 

Plötzlich war da nicht mehr nur «Westeuropa», sondern «Europa». Die natürliche Umwelt der Schweiz erfasste nun den ganzen Kontinent. Nur eben «uns», diese «Schweiz» nicht. Die war angeblich ganz anders, weil sie die «direkte Demokratie» und so weiter habe. Und die ewige Neutralität (die zwar konkret nie gelebt wurde, vielmehr hängte man sich, wie man nach 1989 erfuhr, gerade auch militärisch mit Inbrunst an die NATO). EWR Nein, hiess es dann folgerichtig. Und geboren war das Kitschbild der «unabhängigen Schweiz», welches Blocher und Co. seither ohne Berücksichtigung der globalen, aber auch der unmittelbaren nachbarschaftlichen europäischen Realitäten durchzuboxen versuchen. 

Der Geist der «Diamant»-PR-Übung feiert bereits die zweite Wiedergeburt in diesem Jahr.

Der Geist dieser «Diamant»-PR-Übung feiert nun, nach der «Masseneinwanderungs»-Initiative Blochers, bereits die zweite Wiedergeburt in diesem Jahr 2014: Ecopop belehrt die Menschheit, wie man «in Entwicklungsländern» das Kinderkriegen verhindert: mittels 10 Prozent der eh bescheidenen schweizerischen staatlichen Entwicklungshilfe. 

«Wir», die angeblich «noch natürlich gebliebenen» Schweizer, sorgen dafür, dass es da unten oder dort drüben nicht zu viele Kinder gibt, die die Welt sowieso nicht braucht! 

So, kein bisschen anders, denken die Ecopopisten. Und so denkt offensichtlich ein bedeutender Teil der schweizerischen Bürgerinnen und Bürger. 

Von aussen betrachtet ist dieses Ecopop-Zeug typisch für ein Land, das in vielerlei Hinsicht auf Kosten der übrigen Welt lebt. Ein Land, das durch Banken und Wirtschaftsanwälte, welche dem internationalen Mafiaverbrechen und allen russischen, ukrainischen und sonstigen Oligarchen seit Jahren und während Jahrzehnten Schlupflöcher, Versteckbankkonten und den Ex-Diktatoren aus aller Welt sowie den reich gewordenen russischen Ex-Geheimdienstlern, heute besänftigend «Oligarchen» genannt, die sich unter Jelzin das russische Staatsvermögen per Diebstahl angeeignet haben, Villen am Genfersee oder Steuergrosshinterziehern aus allen rechtsstaatlich regierten Ländern aus Europa solche über dem Zugersee katzbuckelnd zur Verfügung stellt. 

Schämt sich da eigentlich niemand?

Was nun das Hauptanliegen der Ecopopisten betrifft, steht fest: 

Die Schweizer haben seinerzeit eine Alpeninitiative angenommen. Genützt hat dieser Verfassungsartikel nichts. Nirgendwo im Alpenraum wird diese Bergwelt ständig derart drangsaliert wie in der Schweiz. Man schaue sich doch mal in den schweizerischen Alpentälern um!

Kein Seitental, das nicht mit Autobahnanschluss «erschlossen» wäre. Kein Hügel, kaum Drei- oder Viertausender, deren Gipfel oder Abhänge nicht mit Skiliftkaskaden oder Kabinenbahnen Rendite ins Land bringen sollen. Und wenn irgendwo ein Wolf auftaucht – in der unmittelbaren Umgebung einer Metropole wie Berlin durchaus und voller Neugier und Vorsicht akzeptiert – schreien die angeblichen Naturliebhaber in den Alpen Zeter und Mordio, weil der Wolf nicht (mehr) in die kultivierte Viehzucht passe. Weg muss er. Weg muss, sollte er sich in die Schweiz verirren, der Bär. Und gegen den wiederangesiedelten Luchs möchten die Naturliebhaber am liebsten auch wieder die Losung gelten lassen: «Ausländer raus»!

Daran erstickt diese Alpenwelt. Und am ästhetisch sowieso fragwürdigen «bescheidenen» Einfamilienhausrausch im schweizerischen Mittelland ersticken die «Landreserven» der Flachlandschweiz. Es sind nicht die Zuwanderer, welche diese Alpenzerstörung und die Landverengung im Mittelland betreiben, sondern ganz und gar die Einheimischen. 

Mit Zuwanderung hat diese Land-Zerstörung der letzten hundert Jahre in der Schweiz nichts zu tun.

Erinnerung an Schwarzenbach

Aber die Ecopopisten betreiben mit Kitsch im PR-Angebot Stimmung gegen «die» zugewanderten Ausländer. Einmal mehr. Das war schon so, als Schwarzenbach oder später Oehen die angebliche «Engnis der Schweiz» ins Feld führten und damit gegen die «Tschinggen» hetzten. 

Ich kann mich erinnern: An der Uni Zürich hatte man seinerzeit (es war glaube ich im Wintersemester 1967/68, jedenfalls vor der Schwarzenbachabstimmung) von der Studentenvertretung Schwarzenbach eingeladen, seine Thesen vor Studierenden darzustellen. Er sprach in der Aula und nachher sass er mit uns, die wir diesen Auftritt organisiert hatten, an der Weinbergstrasse in einem Café zusammen. Zufälligerweise sass ich neben ihm. Er sagte zu mir: Wissen Sie, gegen die gebildeten italienischen Monsignori und die grossartigen Künstler und Musiker Italiens kann man doch gar nichts haben. Ich schätze sie alle sehr. Aber das Pack, das die uns schicken, lauter Analphabeten, die bloss saufen und Kinder machen können, muss man zurückschicken. Die verderben sonst unseren Volkscharakter.

Dieses Mal spielen ein paar pensionierte Chefbeamte (Roche beispielsweise) und Professoren (Steiner beispielsweise) offensichtlich mit Lust Feigenblätterspiele zu Gunsten von schlichter Fremdenhatz, welche verkleidet wird mit «Nur-die-Ausländer-die-uns-nützen-dürfen-einwandern»-Parolen.  

Ist die Schweiz heute so verdorben ?

Ist sie gesamthaft mehrheitlich derart neben humanistischen Grundlagen gelandet, wie es SVP und die Ecopopisten offensichtlich sind? Beide wollen «die Mehrheit». Sie wollen «Ausländer raus». Sie wollen sich aus Europa verabschieden.

Ist das die Schweiz von heute?

Wäre sie es, wäre das meiner Ansicht nach schon ziemlich ekelhaft.

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