Millionen-Busse für Nestlé

Regulierungen lehnen Konzerne im Namen von Konkurrenz und freiem Markt ab. Gleichzeitig hebeln sie Wettbewerb aus, wo sie können.

Liebhaber von Nestlé-Produkten wurden Opfer von Kartellabsprachen. Nestlé bestreitet es. (Bild: LAURENT GILLIERON)

Regulierungen lehnen Konzerne im Namen von Konkurrenz und freiem Markt ab. Gleichzeitig hebeln sie Wettbewerb aus, wo sie können.

Sie reden von «Selbstverantwortung» und «Selbstregulierung» und predigen die freie Marktwirtschaft. Doch ihre Freiheit nutzen sie allzu oft für Preisabsprachen, denn solche führen zu hohen Profiten.

Letzte Woche betraf es Nestlé. Das deutsche Bundeskartellamt verdonnerte den Schweizer Konzern nach langen intensiven Abklärungen zu einer Busse von rund zehn Millionen Euro, weil er mit den «Mitbewerbern» Kraft Foods (Milka), Mars und Haribo Preise und Rabatte für den Detailhandel abgesprochen hatte. Die genaue Busse wollte Nestlé am Dienstag partout nicht bekannt geben. Das Kartellamt teilte nur die gemeinsame Bussenhöhe von 19,5 Millionen Euro für die drei betroffenen Firmen Nestlé, Ritter und Haribo mit. Aus deutschen Medien ist zu entnehmen, dass Haribo 2,4 und Ritter 7,5 Millionen Euro zahlen sollen.

Bei der Festsetzung der Höhe der Bussen hat das Kartellamt berücksichtigt, dass die Konzerne Ritter, Nestlé und Kraft bei der Aufklärung der jeweiligen Sachverhalte mit dem Bundeskartellamt kooperiert haben.

Trotzdem kündigten jetzt Nestlé und Ritter an, beim Oberlandesgericht Düsseldorf Beschwerde einzureichen. Der Entscheid das Kartellamts ist deshalb noch nicht rechtskräftig.

«Wir sind grundsätzlich mit der Art und Weise, wie die Behörde das Kartellgesetz in diesem Fall ausgelegt hat, nicht einverstanden», erklärte Nestlé in Vevey gegenüber Infosperber. Ritter kritisierte eine «rechtsstaatlich inakzeptable Verfahrensführung».

Kartell-Fahnder überraschten Vierertreffen

Im Februar 2008 überraschten Fahnder des Bundeskartellamts die Frankfurter Zentrale des Nestlé-Konzerns und fanden dort die vier Verkaufschefs der Süsswarenhersteller Mars, Ritter, Haribo und Nestlé einträchtig versammelt. Die Beteiligten beteuerten, sie würden lediglich über gemeinsame Vertriebsaktivitäten diskutieren.

Nach Auswertung der beschlagnahmten Unterlagen kamen die Wettbewerbshüter zu einem andern Schluss. Sie halten es als dokumentiert, dass sich die «Vierer-Runde» regelmässig traf, um Preiserhöhungen abzusprechen und sich über die Verhandlungen mit Kunden des Detailhandels auszutauschen, um ähnliche Bedingungen anzubieten.

«Im Jahr 2007 waren die Preise wichtiger Rohstoffe für die Herstellung von Schokolade, wie Milch und Kakao, deutlich gestiegen», sagte Andreas Mundt, Präsident des deutschen Kartellamts. «Statt einer unternehmerischen Lösung entschied man sich in dieser Situation für ein illegales Vorgehen.» Die Konzerne hätten den Wettbewerb ausgeschaltet und die Kunden hätten abgesprochene Preiserhöhungen zahlen müssen.

Tolerierte Kartelle endeten im Fiasko

Dass das Bekenntnis zum Wettbewerb ein Lippenbekenntnis ist, haben Unternehmen und ihre Verbände schon immer verraten, indem sie sich gegen schärfere Kartellgesetze stets vehement gewehrt haben. Lange waren Kartelle in der Schweiz sogar offiziell erlaubt, falls niemand beweisen konnte, dass deren Nachteile überwiegen. Das Uhren-Kartell wurde so lange toleriert, bis die ganze Branche beinahe unterging. Das Bierbrauer-Kartell hat die grossen Schweizer Hersteller so faul gemacht, dass sie nach der Marktöffnung gegen die ausländische Konkurrenz keinen Stich hatten. Ähnlich erging es der lange Zeit national geschützten Schweizer Telekommunikationsbranche.

Noch heute ist das Schweizer Kartellgesetz gegenüber dem in den USA oder in der EU ohne Biss. Kartellsünden gelten als lässliche Sünden. Diesen Eindruck verbreiten auch die meisten Medien. Über die Millionenstrafe, die das deutsche Kartellamt nach jahrelangen Untersuchungen gegen Nestlé und andere letzte Woche verhängt hat, berichteten NZZ und «Tages-Anzeiger» nur in wenigen Zeilen am Rande, das Schweizer Radio Fernsehen überhaupt nicht. Absprachen über Preise und Konditionen werden als Bagatelle abgehandelt, selbst wenn reputierte Grossunternehmen involviert sind – oder vielleicht gerade deshalb.

Die jüngsten Verteidiger der unregulierten Marktwirtschaft

Dezember 2000

Die Wettbewerbskommission deckt Angebotsabsprachen zwischen den Schweizer Strassenbelagsfirmen BHZ Baustoff Holding Zürich AG, der BHT Baustoff Holding Thur AG Frauenfeld, der Biturit AG Mülligen sowie süddeutschen Unternehmen auf. Das Kartell hat in den Kantonen Zürich, Thurgau, St. Gallen und Schaffhausen mehrere Jahre lang einen Wettbewerb bei Strassenbelägen verhindert. Die Sünder konnten nach geltendem Recht nicht gebüsst werden.

November 2001

Der Pharmakonzern Roche wird von der EU-Kommission mit einer Strafzahlung von 462 Millionen Euro gebüsst, weil der Schweizer Multi während vieler Jahre zu den Anstiftern geheimer Absprachen über Preise und Marktanteile im lukrativen Vitamingeschäft gehörte.

Dezember 2001

Roche wird wiederum der Anstiftung eines andern Kartells der Hersteller von Zitronensäure überführt. Die EU-Kommission verhängt eine Strafzahlung von 63,5 Millionen Euro. Der damalige Brüsseler Wettbewerbskommissar Mario Monti sprach von einem «unakzeptablen Verhalten angeblicher Konkurrenten».

April 2003

Das deutsche Kartellamt verdonnert führende Zement- und Betonhersteller wegen jahrelanger Preisabsprachen in Deutschland zu einer Rekordstrafe von zusammen 660 Millionen Euro. Beim Kartell beteiligt war auch die deutsche Tochter Alsen des Schweizer Konzerns Holcim.

März 2006

Im Rechtsstreit um illegale Preisabsprachen in den USA einigt sich der Schweizer Versicherungskonzern Zürich Financial Services auf die Zahlung von 172 Millionen Dollar an neun US-Bundesstaaten.

Februar 2008

Der Präsident der Wettbewerbskommission Walter Stoffel meldet kleinere Erfolge gegen Behinderungen von Parallelimporten aus dem Ausland. Er bedauert ausdrücklich, dass der Schweizer Gesetzgeber seine Kommission die formelle Zusammenarbeit mit ausländischen Wettbewerbsbehörden mit gegenseitiger Einsicht in beschlagnahmte Dokumente nicht erlaube.

Juni 2009

Die Wettbewerbskommission bestraft die Landi Schweiz AG und den Baum- und Gartenscheren-Hersteller Felco SA, die fixe Endverkaufspreise vertraglich fixiert hatten.

Juli 2009

Die Wettbewerbskommission büsst acht Berner Elektroinstallationsfirmen mit zusammen 1,24 Millionen Franken, weil sie während drei Jahren im Hinblick auf Submissionen die Preise und die Zuteilung von Kunden vorgängig abgesprochen haben. Unter den gebüssten sind die Firmen Gfeller Elektro, Scherler, Atel Gebäudetechnik West, Burkhalter Elektro, Etavis Arnold, BKW ISP, Gasser und Bertsch sowie Energie Wasser Bern.

Januar 2012

Die Wettbewerbskommission büsst im Aargau tätige Baufirmen, weil sie sich bei öffentlichen und privaten Ausschreibungen so abgesprochen haben, dass sie mit ihren Geboten steuern konnten, wer aus der Gruppe jeweils den Zuschlag erhielt. Unter den Gebüssten waren die Firmen Cellere AG Döttingen, Erne AG Laufenburg, Ernst Frey AG Kaiseraugst, Granella AG Würenlingen, Implenia Bau AG Buchs, Knecht Bau AG Brugg, Meier Söhne AG Schwaderloch und Umbricht AG Turgi.

Oktober 2012

Die Wettbewerbskommission spricht gegen die Firma Altimum, ein Generalimporteur von Bergsportartikeln, eine Busse von 470’000 Franken aus. Die Firma aus Palézieux hat Endverkäufern Mindestpreise vorgeschrieben und damit den «Preiswettbewerb unter den Händlern erheblich beeinträchtigt».

Dezember 2012

Die Wettbewerbskommission deckt auf, dass die Schweizer Logistikunternehmen Panalpina und Kühne+Nagel Mitglied eines internationalen Kartells waren, das die Preise für Luftfrachten abgesprochen hatte. Panalpina erhielt eine Busse von 3,1 Millionen Franken, Kühne+Nagel von 1,2 Millionen. Das Kartell arbeitete mit Codenamen und getarnten E-Mail-Konten.

Kein Indiz, dass Kartellrecht greift

Die Liste erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit. Die Fälle stellen nur die Spitze eines Eisbergs voller Absprachen dar. Viel wettbewerbswidriges Verhaltens kommt wegen der löchrigen Gesetze und der schwachen Dotierung der Wettbewerbskommission nie ans Tageslicht – oder die Absprachen sind schlicht legal.

Parteien und Politiker, die möglichst wenig Staat wollen und an die Selbstregulierung des Wettbewerbs glauben, sollten für die strengsten Wettbewerbsregeln und eine hoch dotierte und schlagkräftige Wettbewerbsbehörde sorgen.

Tun sie dies nicht, ist dies der Beweis, dass es ihnen nicht um die Selbstregulierung des Marktes geht, sondern um möglichst viele Gelegenheiten, den Wettbewerb auszuschalten, um ungerechtfertigte Gewinne einzustecken.

Faustregel: Überhöhte Gewinne sind ein Zeichen dafür, dass Unternehmen einige Produkte oder Dienstleistungen zu überhöhten Preisen verkaufen können, weil sie an Wettbewerb mangelt.

(Dieser Artikel erschien zuerst auf infosperber.ch)

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