Der verstorbene Kunstsammler Cornelius Gurlitt hat dem Berner Kunstmuseum seinen millionenschweren Bilderschatz vermacht. In Bern ist man bass erstaunt über die Jahrhundert-Erbschaft. Sie beschert dem Kunstmuseum ungefragt viel Würde und mindestens ebenso viel Bürde – ein Teil der Bilder steht unter Nazi-Raubkunstverdacht.
Der gestern im Alter von 81 Jahren verstorbene Kunstsammler war der Sohn von Adolf Hitlers Kunsthändler, Hildebrand Gurlitt. Nach dem Tode des Vaters hütete der Sohn die millionenschwere Kunstsammlung unter grösster Verschwiegenheit bei sich zu Hause.
2011 war Gurlitt ins Visier der Justiz geraten. Bei der Durchsuchung seiner Wohnung stiessen die Ermittler auf weit über tausend Meisterwerke, von denen viele seit dem Zweiten Weltkrieg als verschollen galten. Die Behörden beschlagnahmten die Werke wegen Verdachts auf Vermögens- und Steuerdelikte.
Erst vor rund einem Monat hatten Gurlitt und die deutschen Behörden eine Einigung gefunden. Gurlitt hatte zugesichert, die umstrittene Sammlung von Experten untersuchen zu lassen und die unter Raubkunstverdacht fallenden Bilder gegebenenfalls zurückzugeben.
Die Behörden gaben die Werke daraufhin frei. Doch Gurlitt sollte sie nie mehr sehen. Er erholte sich nicht mehr von einer schweren Herzoperation. Testamentarisch vermachte er seinen eifersüchtig gehüteten Schatz dem Kunstmuseum in Bern.
«Blitz aus heiterem Himmel»
Dort rangen die Verantwortlichen sichtlich nach Worten. Die Nachricht habe eingeschlagen «wie ein Blitz aus heiterem Himmel», teilte die Institution am Nachmittag mit.
Die Überraschung sei gross, sagte Kunstmuseumsdirektor Matthias Frehner in der Sendung «Schweiz Aktuell» von Fernsehen SRF. «Warum wir?» habe er gerätselt, sagte Frehner. Das Kunstmuseum und Gurlitt hätten zuvor nie in irgend einer Form Beziehungen unterhalten.
Er könne nur spekulieren, sagte auch Stiftungsratspräsident Christoph Schäublin im Regionaljournal von Radio SRF. Möglich sei, dass Gurlitt nach schlechten Erfahrungen mit den deutschen Behörden seine Sammlung ins Ausland geben wollte.
«Ich kann nicht abschätzen, was da auf uns zukommt», sagte Schäublin. Das Museum werde eine ganze Menge Fragen zu klären haben – insbesondere auch, ob es die Erbschaft akzeptieren werde, was er natürlich sehr hoffe.
Museumsdirektor Frehner ist zuversichtlich. «Was mich beruhigt ist, dass Gurlitt selber Provenienzrecherchen in Auftrag gegeben hat», sagte Frehner in der «Tagesschau» von Fernsehen SRF. Gurlitt selber habe allenfalls geraubte Bilder zurückgeben wollen.
Die Herkunftsabklärungen der umstrittenen Bilder werde aufwendig und sei mit Kosten verbunden, mutmasste der Kunst-Experte Thomas Buomberger in «Schweiz Aktuell».
Deutschland will Kulturgut schützen
Und dann haben in der ganzen Angelegenheit auch die deutschen Behörden noch ein Wort mitzureden. In Deutschland beruft man sich nämlich auf ein Gesetz zum Schutz von Kulturgut.
Die Sammlung soll geprüft und entsprechende Werke in einer Liste geführt werden. Bei einer Ausfuhr der Sammlung in das Nicht-EU-Land Schweiz bräuchte es für die gelisteten Werke eine amtliche Genehmigung.
Nach Ansicht des Münchner Erbrechts-Experten Anton Steiner könnte das für einzelne Werke zutreffen, wie er der Nachrichtenagentur dpa sagte. «Es wird von Bild zu Bild zu betrachten sein», sagte er: «Ein Matisse trägt das deutsche Kulturgut nicht, ein Beckmann vielleicht schon.»
Ob das Gesetz zur Anwendung kommt wenn die Bilder nicht verkauft, sondern in einem deutschsprachigen Museum ausgestellt werden, ist für Steiner allerdings fraglich.
Bei jedem Kunstwerk müsse abgeklärt werden, ob es sich um Raubkunst handle, hiess es beim Bundesamt für Kultur am Mittwoch auf Anfrage der sda. Der Bund werde darauf achten, dass die Abwicklung des Nachlasses den internationalen und nationalen Normen entspreche.
Ob und wann die Jahrhundert-Erbschaft also nach Bern kommt, ist offen. Das Kunstmuseum Bern gilt als das älteste Kunstmuseum der Schweiz mit permanenter Sammlung. Diese reicht von der Gotik bis zur Gegenwart und umfasst Werke von Pablo Picasso, August Macke, Paul Cézanne, Franz Gertsch oder Meret Oppenheim.