Die AKW Fessenheim und Beznau waren wiederholt Ziele von Protesten durch Greenpeace-Aktivisten. Der Bereichsleiter Klima & Energie von Greenpeace Schweiz erklärt, warum.
In Fessenheim und Beznau haben Greenpeace-Aktivistinnen und -Aktivisten in den letzten Tagen auf die Gefahren der Altreaktoren Europas hingewiesen. In beiden Fällen trägt die Axpo als Investorin bzw. Betreiberin eine zentrale Verantwortung – denn sie steckt ihr Vermögen weiterhin in Oldtimer. Der Energiekonzern kalkuliert scharf und stellt wirtschaftliche Interessen vor die Sicherheit der Bevölkerung. Die Axpo reizt ihre alten VW-Käfer aus und fährt mit ihnen weiterhin auf der Autobahn.
Am deutlichsten ist dies in Beznau – dem ältesten laufenden Atomreaktor der Welt, der Land und Leute gefährdet. Diese Behauptung muss untermauert werden. Es gilt dafür zwei Gefahren zu erläutern: die relevanten technischen Mängel am AKW Beznau selbst und die gravierendste Schwachstelle in den Sicherheitsanforderungen an alle Schweizer Atomkraftwerke.
Altersbedingte Sicherheitsdefizite in Beznau
Das AKW Beznau ist mit 45 Jahren Betriebszeit ein Oldtimer. Zum Vergleich: Das älteste AKW in Frankreich, Fessenheim, ist 37 Jahre alt. Im Gegensatz zu einem VW-Käfer mit Baujahr 1969 sind jedoch viele sicherheitsrelevante Teile nicht zugänglich oder für den Betreiber wirtschaftlich nicht mehr zu ersetzen. Zentrale Sicherheitssysteme wie die Notstromversorgung, die Not- und Nachkühlstränge sind nicht in der bei einem neuen AKW geforderten Anzahl vorhanden, und auch nicht konsequent getrennt. Die äussere Hülle des Reaktors, das Sekundärcontainment, ist mit 0,7 bis 0,9 Meter Dicke zu wenig massiv. Man denke an einen Flugzeugabsturz. Gefordert sind deshalb Wandstärken über 1,6 Meter.
Auch ist ungesichert, ob ins Alter gekommene Anlageteile den Belastungen eines Erdbebens standhalten. Ob der Hochwasserschutz in Zeiten der Klimaveränderung ausreicht, ist umstritten. Von absolut zentraler Bedeutung ist das sogenannte 30-Minuten-Konzept. Es verlangt, dass die Sicherheitseinrichtungen automatisch aktiviert werden und ein Operateur frühestens nach 30 Minuten eingreifen muss um eine Katastrophe wie in Fukushima zu vermeiden. In Beznau ist das nicht eingehalten.
Diese gravierenden Mängel und Schwachstellen – und viele mehr – benennt Dieter Majer, der frühere Leiter der Abteilung «Sicherheit kerntechnischer Einrichtungen» beim deutschen Bundesumweltministerium. Er hat sie in einer im Februar erschienenen Studie ausführlich beschrieben. Seine Folgerung ist bedeutsam: Die Anlage in Beznau «sollte wegen der bestehenden Sicherheitsdefizite unverzüglich abgeschaltet werden».
Wieso geschieht das nicht?
Schweizer Unikum der AKW-Sicherheit
Weltweit nimmt man den «Stand von Wissenschaft und Technik» als Messgrösse für die AKW-Sicherheit. Er garantiert, dass die neusten kerntechnischen Erkenntnisse einfliessen. Bei Schweizer AKW genügt jedoch der «Stand der Nachrüsttechnik». Er ist eine Leerformel, ohne Verknüpfung mit konkretisierten Sicherheitsanforderungen.
Die Schweizer Aufsichtsbehörde ENSI agiert in einer Grauzone, wo sich technische und betriebswirtschaftliche Überlegungen vermengen. Das ENSI muss mit den Betreibern über jede Verbesserung verhandeln. Es kann zu wenig einfordern und hat nur bei extremen Schäden ein Durchsetzungsrecht.
Um beim Oldtimer zu bleiben: Das ENSI hat weniger Macht als eine kantonale Motorfahrzeugkontrolle. Wir, die Bevölkerung, können einzig Daumen drücken – oder wie in Beznau und Fessenheim protestieren und Druck ausüben. Deshalb muss nun der Nationalrat dringend handeln, bei der Behandlung der Energiestrategie 2050 eine verbindliche Laufzeitbeschränkung für alle AKW festlegen und dem ENSI effektive Durchsetzungsmittel für die Ausserbetriebnahme der alten Reaktoren geben.