Schweizer Bibliotheken gehen unterschiedlich mit Adolf Hitlers Hetzschrift «Mein Kampf» um. Während die Originalversion in den Bücherregalen weit verbreitet ist, zeigen sich viele Büchereien bei der neuen kritischen Ausgabe von Münchner Historikern zurückhaltend.
Über den grössten Schweizer Onlinekatalog von verschiedenen Bibliotheksverbunden swissbib werden unter dem Stichwort «Mein Kampf» und dem Autor Adolf Hitler insgesamt 122 Bücher angezeigt, 98 davon sind in der deutschen Originalsprache verfasst. Darunter befinden sich jedoch auch einige gekürzte oder kommentierte Versionen.
Die neuste kritische Ausgabe des Münchner Instituts für Zeitgeschichte ist dagegen noch fast in keiner der von der Nachrichtenagentur sda angefragten Bibliotheken erhältlich. Bei einigen wird dies auch so bleiben.
Kein Schweizer Bezug
«Unseres Wissens hat niemand aus der Schweiz an der kommentierten Ausgabe mitgewirkt», sagt Hans-Dieter Amstutz, Sprecher der Schweizerischen Nationalbibliothek, die fast ausschliesslich Werke mit einem Bezug zur Schweiz sammelt. «Wir werden sie darum nicht anschaffen.»
Dagegen habe die Nationalbibliothek drei ältere Ausgaben von «Mein Kampf» in ihrer Sammlung. Eine davon ist ein Exemplar der Originalausgabe in zwei Bänden, die jeweils Hitlers Unterschrift tragen. «Sie wurden im Jahr 1950 für 600 Franken vom Schweizer Generalkonsulat in München erworben», sagt Amstutz. Vermutlich sei der Vorbesitzer der Grund für die Erwerbung gewesen.
«Diese beiden Bände tragen eine ‚Helvetica rara‘-Signatur, das heisst, sie dürfen nur unter Beachtung besonderer konservatorischer und Sicherheitsmassnahmen ausgeliehen werden.» Auch die anderen beiden Ausgaben der Nationalbibliothek sind – wie alle über fünfzigjährigen Werke – speziell geschützt. Sie sind nur intern ausleihbar. Eine Heimausleihe ist nicht möglich.
In Bern und St. Gallen bald verfügbar
Dies gilt auch für die St. Galler Kantonsbibliothek Vadiana, wo vier Exemplare von «Mein Kampf» existieren. Eines davon trägt vermutlich die Originalunterschrift Hitlers, wie Wolfgang Göldi sagt. Er ist verantwortlich für historische Bestände und Sammlungen in der Kantonsbibliothek.
Anders als die Nationalbibliothek wird Göldis Team die kommentierte Neuausgabe von Hitlers Hetzschrift bestellen. «Diese wird ausleihbar sein.» Die Ausgabe ergänze bereits angeschaffte kommentierende «Mein Kampf»-Versionen wie beispielsweise jene von Christian Zentner aus dem Jahr 2013.
Ebenfalls ein Exemplar der neuen Ausgabe wollen die Kornhausbibliotheken Bern bestellen. Dieses werde in der Hauptstelle zur Ausleihe zur Verfügung stehen, sagt Leiterin Barbara Nabulon. «Zurzeit ist das Buch noch nicht in unserem Bestand zu finden, da es im Buchhandel kurz nach Erscheinen bereits wieder vergriffen ist.» Von der unkommentierten Originalversion von «Mein Kampf» besässen die Kornhausbibliotheken dagegen kein Exemplar.
Besser kommentiert als unkommentiert
Die Herausgabe einer neuen kommentierten Ausgabe mache Sinn, sagt Göldi. Sie entlarve das nationalsozialistische Gedankengut der Lügen und Behauptungen. «Eine kommentierte Ausgabe ist sinnvoller als eine blosse Neuausgabe.»
Der Inhalt werde kritisch in einen historischen Kontext gesetzt“, sagt auch Nabulon. Weil der Originaltext unkommentiert frei zugänglich im Internet zirkuliere, sei es sinnvoll, den Text mit umfangreichem Material und wissenschaftlichen Kommentaren zu veröffentlichen.
Dieser Meinung ist auch Susanne Galliker, die in St. Gallen die Kinder- und Jugendbibliothek Katharinen leitet. «Je mehr etwas versteckt und unterdrückt wird, desto grösser ist der Reiz, damit im Verborgenen zu hantieren», sagt sie der sda. Sie glaube aber nicht daran, dass die neueste Version diejenigen Leute erreichen werde, die sich dringend mit dem Thema befassen sollten.
Zurückhaltung und Vorsicht
Gallikers Team verzichtet denn auch auf eine Aufnahme von «Mein Kampf». Sowohl die kommentierte als die Originalausgabe wird in ihrer Bibliothek nicht angeboten. «Da wir alle Teilzeitlerinnen sind, hat es sich nie ergeben, dass wir als Team über das brisante Thema diskutiert haben.»
Auch die Bibliothek Landquart und Umgebung bietet kein Exemplar an – weder von der Originalversion noch von der neuen kommentierten Ausgabe. Leiterin Gret Kohler findet, «dass diese Schrift grundsätzlich verboten sein sollte». Nur zu Studienzwecken dürfe Hitlers Buch greifbar sein.
Andere angefragte Bibliotheken wollen die neuste «Mein Kampf»-Ausgabe inhaltlich nicht bewerten.