Mixed-Doppel-Curling wird 2018 erstmals olympisch sein. An der für die Olympia-Qualifikation wichtigen Schweizer Meisterschaft gewann das Siegerteam den Titel mutmasslich dank einem Sportbetrug.
Die kurze, aber umso heiklere Szene spielte sich im Zusatz-End des entscheidenden Vorrundenspiels zwischen den nachmaligen Meistern Martin Rios/Jenny Perret aus Glarus und Mario Freiberger/Michèle Jäggi vom CC Limmattal. Martin Rios wischte den letzten Stein seines Teams. Bis rund einen halben Meter vor einem ruhenden Stein schien der Versuch zu missraten. Dann nahm die Richtung des Spielsteins unvermittelt einen deutlichen Knick nach rechts. Am Schluss erwies sich der Stein als ideal, Rios‘ Team gewann den Match und wahrte sich seine Chancen auf die Olympia-Teilnahme. Es fragte sich nur, wie der Spielstein so deutlich aus der Bahn geraten konnte – und erst noch in die perfekte Richtung.
Schon bald tauchten unter anderem in Social Media der Curling-Gemeinde Videosequenzen auf, die deutlich zeigten, dass Rios mit dem linken Fuss im fraglichen Moment eine Kickbewegung gegen den Spielstein ausführte. Die Fussbewegung und die in exakt diesem Moment erfolgte, völlig ungewöhnliche Richtungsänderung legten nahe, dass der Spieler kräftig nachgeholfen hatte. Dass die für einen Curler unnatürliche Fussbewegung und die Ablenkung des Steins im gleichen Moment stattfinden konnten, musste ein schier unglaublicher Zufall gewesen sein.
Der letzte Beweis ist bislang ausgeblieben, weshalb der Verdacht des Sportbetrugs nicht absolut schlüssig ist. Die Indizienlage ist erdrückend.
Martin Rios sagte danach aus, er habe den Stein nicht berührt, respektive er habe nichts von einer Berührung gespürt. Die Regel besagt, dass das spielende Team einen – absichtlich oder unabsichtlich – berührten Stein je nach Situation sofort aus dem Spiel nehmen oder den Fehler dem gegnerischen Team melden muss. Das machte Rios nicht. Der Match ging weiter, als wäre nichts gewesen. Das gegnerische Team wurde mutmasslich um den Sieg geprellt.
Ein Spiel mit einem derartigen Unterzug zu gewinnen wäre etwas von dem am meisten Verpönten in Curling. Die Curler weltweit sind dem Spirit of Curling verpflichtet. Dazu gehört unter anderem, dass man fair spielt und dem Gegner jeden Respekt zollt. Der vorliegende Fall des mutmasslichen Sportbetrugs wäre eine der schlimmsten Zuwiderhandlungen. Nach wie vor gilt, auch innerhalb der Gerichtsbarkeit von Swiss Curling, die Unschuldsvermutung.
Martin Rios sagte in einer schriftlichen Stellungnahme: «Auf den Bildern sieht es in der Tat so aus, als ob eine Berührung stattgefunden haben könnte. Da ich aber keine solche wahrgenommen habe, habe ich auch keine zugegeben. … Wir haben uns beim Verband und den Umpires informiert, ob wir ein Forfait anbieten und damit das Klassement ändern lassen könnten.» Ob dies einem Eingeständnis gleichkommt, ist eine Frage der Interpretation. Und ob es in dieser Form überhaupt stimmt, bleibt offen. Liselotte Künzi, Chefschiedsrichterin von Swiss Curling, nahm dazu keine Stellung. Sie verwies auf den Verband. Swiss Curling wiederum hat zu dem Fall eine Untersuchung eingeleitet. In den nächsten Tagen soll informiert werden.
In der Curling-Gemeinde sind die Meinungen weitgehend gemacht. Erfahrene Curler, die mit der Schweizer Szene wenig zu tun haben, äussern sich nach der Sichtung der Videos pointiert. Die Kanadierin Joan McCusker, als Olympiasiegerin und dreifache Weltmeisterin eine der renommiertesten Curlerinnen, liess verlauten: «Der Wischer (Rios) kickte den Stein kurz vor dem Aufprall auf den andern Stein. Der Stein änderte die Richtung komplett.» Die zweifache Weltmeisterin Andrea Schöpp aus Deutschland und der legendäre Schotte Hammy McMillan äusserten sich auf verschiedenen Kanälen in gleicher Weise.
Martin Rios arbeitet für Swiss Curling im Nachwuchsbereich. Den Jungen sind Technik und Taktik beizubringen. Und der Spirit of Curling.