Arbeitskräfte aus Süddeutschland sind von der Annahme der SVP-Initiative enttäuscht.
«Und was bedeutet das jetzt für meine Arbeitsbewilligung?», fragt sich Monika N. aus dem süddeutschen Binzen. Tag für Tag fährt sie über die Grenze zur Arbeit in die Nordwestschweiz. Die Kinderbetreuerin einer Basler Familie ist verunsichert, und so wie ihr geht es vielen anderen auch. Jeden Tag fahren 36 000 Arbeitskräfte aus Süddeutschland in die Nordwestschweiz zur Arbeit.
Es ist kurz vor 18 Uhr. Schulter an Schulter stehen die Deutschen am Badischen Bahnhof in Basel. Sie warten wie jeden Tag auf den Südbadenbus Nummer 55, Fahrtrichtung Kandern. Der schneeweisse Bus kommt abrupt zu stehen, die Türen öffnen sich und die Wartenden stürmen zu den letzten freien Sitzplätzen. Szenen wie an jedem Tag, doch am Montag nach der Annahme der SVP-Masseneinwanderungsinitiative ist die Verunsicherung bei den Grenzgängern spürbar.
«Wenn wir weg sind, müsst ihr eure Toten selber unter die Erde bringen.»
Eine Frau erkennt die Journalisten und eilt mit zügigen Schritten durch den Bus. «Was wärt ihr denn ohne Ausländer?», ruft sie. «Wenn wir weg sind, müsst ihr eure Toten selber unter die Erde bringen und euren Alten selber den Hintern putzen!» Sie beschimpft die Schweizer als «Rosinenpicker» und «Profiteure».
Der Volksentscheid sorgt neben der Verunsicherung auch für Frust. Die Schweizer würden von den Grenzgängern doch profitieren, sagen viele der Buspassagiere an diesem Montagabend. Viele wissen im Detail über den Volksentscheid Bescheid: der knappe Ausgang, das Stimmverhältnis in Basel und die Frist von drei Jahren bis zur Umsetzung – auch darin zeigt sich die Betroffenheit der Südbadener.
Doch betroffen sind bei Weitem nicht nur sie, rund 32 000 Arbeiter kommen täglich aus dem Elsass in die Nordwestschweiz. Landesweit sind es insgesamt 200 000 Grenzgänger aus Deutschland und Frankreich und weitere 62 000 aus Italien, die in der Schweiz ihr Geld verdienen. Wie stark ihre Zahl eingeschränkt wird und ob es auch zu Kündigungen kommen wird, ist derzeit offen.
Auf den Schlips getreten
Die Fahrt mit dem Südbadenbus führt bis nach Binzen, einem Dorf hinter Weil, vor allem bekannt für seinen Wein. Im Restaurant «Zum Schwanen» sitzt an der Bar Gemeinderat Sebastian Weil. Er ist selber Grenzgänger und arbeitet im Marketing bei einem grossen Basler Verlag.
Die Schweizer Demokratie lobt er als vorbildlich, den Volksentscheid bezeichnet er als «logische Folge der weltweiten Migration». Dabei geht es ihm wie vielen Deutschen, die Folgen der Abstimmung sind ihm unklar. Sorgen um seine Stelle macht er sich aber keine. «Ich kann mir nicht vorstellen, dass die Schweiz in drei Jahren sagt: ‹So, jetzt machen wir zu›.» Und wenn, meint er, dann betreffe das die «einfachen» Arbeiter.
Zurück nach Basel geht es mit der Taxifahrerin Frederike Stoyan. Vom Entscheid ist sie enttäuscht: «Die Deutschen fühlen sich auf den Schlips getreten», sagt sie und bringt auf den Punkt, was an diesem Abend viele angesprochen haben.
Artikelgeschichte
Erschienen in der Wochenausgabe der TagesWoche vom 14.02.14