Heute wäre sie 90 Jahre alt, unsterblich ist sie seit ihrem Tod 1962: Marilyn Monroe.
MM – zwei Buchstaben, und man weiss noch immer, wem sie gehören, auch über 50 Jahre nach ihrem Tod. Marilyn, die Göttin von Hollywood. 90 Jahre alt würde sie am 1. Juni, aber sie, die früh Verstorbene, bleibt ewig jung. Keine Frau wurde zu ihren Lebzeiten häufiger fotografiert.
Das platinblonde Haar, die roten Lippen, der umwerfende Augenaufschlag – wenn das Kino je eine Ikone kannte, dann war es Marilyn. Ihre Filme dagegen blieben nicht so sehr in Erinnerung. Immerhin: «Some Like It Hot» gilt noch heute als zeitlose Komödie, und Monroe erhielt in ihrem letzten Film «The Misfits» von ihrem Ex-Ehemann und Drehbuchautor Arthur Miller eine Rolle zugeschrieben, in der sie mit ihren gerne übersehenen schauspielerischen Fähigkeiten glänzen konnte.
Aber der Nimbus der Monroe war schon damals grösser als ihre Filme. Die Anbetung Monroes erfuhr kultische Züge, ihr Look ist popkulturelle Referenzgrösse – und der Mythos, der lebt und nährt sich weiter. Durch ihre Tagebuchnotizen, die vor sechs Jahren erstmals veröffentlicht wurden, durch ihren Nachlass, der dieses Jahr auf Welttournee und anschliessend unter den Hammer geht, und durch die ungeklärten grossen Fragen. Was war mit Kennedy? Starb sie an Suizid oder Mord? Und warum nochmal sind «Diamonds a Girl’s Best Friend»?
1. Die Filme
Das Offensichtliche: Marilyn, die Schauspielerin. Sie war bereits Model und Pin-up-Girl, bevor sie ihre ersten auffallenden Rollen erhielt – zuerst den Kurzauftritt in «The Asphalt Jungle», der sie in der Rolle als «some sweet kid», als naive, junge und leicht zu verführende Blondine vordefinierte. In «We’re Not Married!» dann tingelte sie als Schönheitsprinzessin durch die Staaten, in «Monkey Business» war ihr die Aufgabe der augenaufschlagenden Sekretärin zugedacht.
Ein Wendepunkt schien «Niagara» 1953 zu werden – um Verführung ging es zwar auch da, aber in der Rolle der gefühlskalten Femme fatale blitzte eine Modernität auf, die ihrem Spiel bisher nicht zugestattet war. Die «mächtigsten Waffen» habe Monroe in diesem Film eingesetzt, schrieben die Kritiker damals – eine niederträchtige Seele in einem erotischen Körper. Als Schauspielerin wäre sie damit auf dem Weg zu mehr Anerkennung gewesen, aber die nachfolgenden «Gentlemen Prefer Blondes» und «How To Marry A Millionaire» stiessen sie zurück in das Rollenfach der lustigen, einfach gestrickten und sich am schönen Leben erfreuenden Blondine. Die Gagen wuchsen zwar immens, die Popularität stieg ins Unermessliche, aber der ersehnte Wechsel ins Charakterfach gelang ihr erst 1961 in «The Misfits», wo sie eine Frau mimte, die auf der Suche nach Respekt und Sinnhaftigkeit der Schwermut verfällt. Erdacht hatte die Rolle ihr Noch-Ehemann Arthur Miller, und wahrscheinlich schöpfte er dafür aus der persönlichen Erfahrung an ihrer Seite.
2. Unvollendete Emanzipation
Eine Erscheinung wie Marilyn Monroe hatte das rigide Hollywood-System der Fünfzigerjahre, in dem die grossen Studiochefs ihre (weiblichen) Filmstars nach Gutdünken in Rollenbilder pressten, noch nicht erlebt. Nicht nur, weil sie Tabus brach, wie etwa ihr Nacktfoto 1953 in der ersten Ausgabe des «Playboy», sondern aufgrund ihrer schieren Popularität, die ihr neue, eigene Wege erlaubte. Sie gründete 1956 mit der «Marilyn Monroe Productions Inc.» als erst dritte Schauspielerin ihre eigene Produktionsfirma und erkämpfte sich dadurch ein Mitspracherecht in der Wahl der Drehbücher.
Dass sie sich nicht als späte Vertreterin des voremanzipatorischen Kinos begreifen wollte, in dem Frauen die Rollen zu spielen hatten, die ihnen Männer zuschanzten, geht aus ihren 2010 veröffentlichten privaten Notizen hervor – sie wusste, was sie von ihrer Karriere wollte, aber auch von ihrem Platz in der Gesellschaft, in die sie als Pflegekind ohne Schulabschluss und Aussenseiterin eingetreten war. Aber nachlesen konnte man in diesen Aufzeichnungen auch, wie sie an der Erfüllung des eigenen Anspruchs scheiterte. Zahlreich sind die Einträge, in denen Monroe sich zur Disziplin ermahnte, unter grosser Hingabe ihre Schönheit zu modellieren suchte, weil sie ihr als wichtigstes Kapital erschien, und um Anerkennung von – männlichen – Autoritätspersonen kämpfte.
Spinnweben hatte sie als Metapher für ihr Dasein auserkoren – sie halten Windstössen stand, können jedoch von einem einfachen Handschlag vernichtet werden. Zwischen Selbstbestimmung und Unterwürfigkeit pendelte sie, was nicht nur persönliche, sondern auch zeitgeschichtliche Gründe hatte. Dass sie in den späten Fünfzigern und frühen Sechzigern in eine Leerstelle der Geschlechterentwicklung fiel, wurde Jahrzehnte nach ihrem Tod in einer der vielen popkulturellen Referenzen deutlich: in der Fernsehserie «Mad Men». Diese spielt im Werbemilieu der Sixties, als Männer noch unwidersprochen Machos sein durften. In der Folge «Six Month Leave» aus der zweiten Staffel reagieren die Männer scheinbar ungerührt auf die Nachricht von Monroes Tod, die Frauen hingegen haut die Meldung aus den Stöckelschuhen. Es sind Frauen, die unterwegs sind, ihr eigenes Leben gestalten zu können, sich jedoch gleichzeitig noch dem alten Patriarchat verpflichtet sehen. Marilyn Monroe stand für einen Ausweg, der sich mit ihrem Tod wieder zu schliessen schien.
3. Die Männer
Abgesehen von ihrer ersten Ehe, die sie als sehr junge Frau einging und die früh zerbrach, standen Monroe grosse Namen zur Seite. Joe DiMaggio, die Baseball-Legende. Arthur Miller, der grosse Zeitkritiker der US-amerikanischen Nachkriegsliteratur. Monroe war, so muss man das damals gedacht haben, eine begehrte Trophäe, aber sie überstrahlte ihre Gatten spielend.
Keine ihrer Liaisons hat jedoch derart Wellen geschlagen wie die Affäre mit dem damaligen US-Präsidenten John F. Kennedy. Der mächtigste Mann und die begehrteste Frau der Welt – eine riesenhafte Geschichte, die noch immer für Aufregung sorgt. Vor drei Jahren erschien ein offenbar breit recherchiertes Buch, das Monroe sogar Ambitionen unterstellte, Kennedy als First Lady zur Seite stehen zu wollen, am anderen Ende des Spektrums halten sich Spekulationen, dass die ganze Affäre den beiden nur der guten Story wegen angedichtet worden war. Darüber geäussert hatten sie sich beide nie ausführlich, es blieb ihnen auch nicht viel Zeit: Monroe starb 1962, Kennedy wurde ein Jahr später ermordet. Geblieben ist das Gerücht – und die Filmaufnahme, als eine sichtlich bewegte Monroe im hautengen Kristallsteinkleid dem Präsidenten öffentlich ein Geburtstagsständchen sang, drei Monate vor ihrem Tod.
4. Die Ikone
Gemessen an der Wirkungskraft, die Marilyn Monroe im amerikanischen Showbusiness entfachte, kann ihr wahrscheinlich nur Elvis das Wasser reichen. Die berühmteste ihrer Szenen – der flatternde weisse Rock über dem Lüftungsschacht der U-Bahn in «The Seven Year Itch» – gehört zu den zeitlosesten Bildern der Filmgeschichte, aber es waren vor allem Make-up und Frisur, an denen sich Showstars späterer Generationen versuchten. Blondes Haar, rote Lippen, künstlicher Leberfleck, voilà.
Madonna hat sich für «Material Girl» den ganzen Clip bei Monroe abgeschaut und in «Vogue» ihren Look übernommen, Christina Aguilera widmete Monroes Epoche mit «Back To Basics» ein ganzes Album, Scarlett Johansson schlüpfte für einen Werbespot in die Rolle der Blondine. An ihre Aura heran kam keine von ihnen, erst recht nicht sie, die es am verbissensten versuchte: Zeitlebens verfolgte der Traum der Monroe-Verkörperung das Playmate Anna Nicole Smith. Aufgewachsen in zerrütteten Verhältnissen, berühmt geworden durch Nacktbilder – da endete die Parallele schon. Über die Karikatur kam Smith nie hinaus, am ähnlichsten wurde sie ihr auf tragische Weise am Ende: Sie starb mit 39 Jahren, drei Jahre älter als Monroe, durch eine Drogenüberdosis.
Stärker als in den blossen Show-Imitaten zeigte sich die Inspirationskraft von Marilyn Monroe hingegen in der Gegenwartskunst. Salvador Dalí verschmolz die Porträts Monroes und des chinesischen Revolutionsführers Mao Zedong zu einer transkulturellen Ikone, Willem de Kooning malte sie in Öl. Am bekanntesten hingegen ist das Werk von einem, der sich intensiv mit der Medialisierung von Ruhm und dem Tod des Idols auseinandersetzte: Andy Warhol. Seinen Siebdruck «Marilyn Diptych» fertigte er wenige Wochen nach Monroes Tod an und zeigte ihr Porträt, wie es langsam in Grautönen verschwindet. Der Mensch vergeht, was bleibt, ist das Bild.
5. Ihr Tod
Um 4.30 Uhr am 5. August 1962 tauchte die Polizei in Monroes Villa in Los Angeles auf und fand die Schauspielerin nackt, mit einem Telefonhörer in der Hand, leblos im Bett. Eine Autopsie stellte am folgenden Tag eine Überdosis Schlafmittel als Todesursache fest, in ihrer Sterbeurkunde steht «wahrscheinlich Suizid». Dass sie psychisch am Boden war, war kein Geheimnis, und ihre privaten Aufzeichnungen haben Jahre später ihre Labilität offenbart.
Wie bei anderen Figuren von derartiger Grösse, die früh verstorben sind, war an Verschwörungstheorien kein Mangel – die bekannteste besagt, dass Kreise um Präsident Kennedy die Affäre der beiden vertuschen wollten. Gesichert sein soll, dass Robert Kennedy, Bruder des Präsidenten und dessen Justizminister, sowie dessen Schwager Peter Lawford am Todestag sowie am Tag zuvor die Schauspielerin besucht hatten. Warum, ist ungeklärt, die Verschwörungsthese konnte jedoch nie erhärtet werden.
Eine andere Theorie sucht die Schuld bei ihrem Psychiater Ralph Greenson, der für die tödliche Dosis des Schlafmittels verantwortlich gewesen sein soll. Auftrieb erhielten die Gerüchte durch die Abschrift der Tonbandaufnahmen, die Greenson aus den Therapiesitzungen mit Monroe in den Wochen vor ihrem Tod angefertigt haben soll und die mittlerweile, im O-Ton der Schauspielerin, als Hörbuch erhältlich sind. Dort erfährt man, dass der untersuchende Staatsanwalt Anhaltspunkte für eine Untersuchung wegen Mordes vorfand, jedoch von höherer Stelle behindert worden sei.
Was genau geschehen ist, lässt sich kaum mehr rekonstruieren. Viele Leute liefen an diesem Tag, als sie tot aufgefunden wurde, in ihrem Haus umher, ihr Psychoanalytiker, ihr Anwalt, ihr Hausarzt, ihr Pressesprecher, die Polizei. Dinge verschwanden damals aus ihrem Besitz, Spuren wurden zerstört. Fest steht nur: Monroe litt in ihrem letzten Lebensjahr an manischen Depressionen, die durch eine fehlgeleitete Psychoanalyse verschlimmert wurden, und bekämpfte sie mit Psychopharmaka, Alkohol und Schlafmittel. Bis ihr Leben endete und die Unsterblichkeit begann.