Ein Islamist wird neuer Präsident Ägyptens: Der Kandidat der Muslimbruderschaft, Mohammed Mursi, hat sich in der Stichwahl mit denkbar knappem Ergebnis durchgesetzt. Die Wahlkommission in Kairo erklärte, Mursi habe 51,7 Prozent der Stimmen erhalten.
Sein Rivale, der frühere Ministerpräsident Ahmed Schafik, kam demzufolge auf 48,3 Prozent. Die Beteiligung an der Stichwahl vom 16. und 17. Juni lag bei 51 Prozent. Unter den Anhängern Mursis, die sich auf dem Tahrir-Platz in Kairo versammelt hatten, brandete Jubel auf, als das Ergebnis im Fernsehen verkündet wurde.
In einer Ansprache, die am Sonntagabend vom staatlichen Fernsehen ausgestrahlt wurde, betonte Mursi, der Präsident aller Ägypter sein zu wollen. „Muslime oder Christen, Männer oder Frauen, Alte oder Junge, (…), ihr seid alle meine Familie“, sagte der Islamist.
Alle internationalen Verträge seines Landes würden geachtet. „Wir wollen Frieden“, erklärte der neue Präsident weiter. Ägypten ist – neben Jordanien – das einzige arabische Land, das einen Friedensvertrag mit Israel geschlossen hat.
Die Wahl Mursis gilt als historisch. Nach einer Abfolge von Pharaonen, Königen, fremden Statthaltern und Generälen ist der 60-Jährige der erste zivile Politiker an der Spitze des ägyptischen Staates. Mit ihm erobert die vor 80 Jahren gegründete Muslimbruderschaft das erste Mal das höchste Staatsamt.
Unklares Machtgefüge
Auch mit der Wahl Mursis dürften die Machtkämpfe zwischen dem herrschenden Militärrat, den Islamisten und Kräften des arabischen Frühlings nicht enden. Die erste freie Wahl eines Präsidenten sollte das Ende der seit sechs Jahrzehnten bestehenden Dominanz der Streitkräfte einläuten.
Allerdings wird der neue Präsident nicht die umfassende Macht seines Vorgängers haben. Der Militärrat hatte für den Sieg des Kandidaten der Muslimbrüder vorgebaut und in der letzten Wahlnacht Verfassungsänderungen erlassen. Demnach hat Mursi ohne Zustimmung des Militärrates keinen Zugriff auf die Streitkräfte.
Das Militär betreffende Personal- und Finanzentscheide sind ihm vollkommen entzogen. Zudem liess der Militärrat das von islamistischen Parteien dominierte Parlament auflösen. Mehr als ein Jahr nach dem Sturz Mubaraks ist damit das Machtgefüge unklar.
Um Betrugsvorwürfen nachzugehen, hatte die Wahlkommission die ursprünglich für Donnerstag geplante Bekanntgabe des Ergebnisses auf Sonntag verschoben. Hinter der Verschiebung vermuteten viele Ägypter einen Versuch der Streitkräfte, sich der Forderung nach Demokratie mit aller Macht zu entziehen.