Die von den neuen Besitzern ins Lot gebrachten Finanzen schlagen sich im Formel-1-Rennstall Sauber noch nicht in den Ergebnissen nieder. Teamchefin Monisha Kaltenborn glaubt dennoch an den Turnaround.
Monisha Kaltenborn hat im Vorfeld der Saison Optimismus verbreitet, ihre Zuversicht hält sie auch nach einem Drittel des WM-Pensums bei. Im Gespräch mit der Nachrichtenagentur sda nennt sie Gründe für das mit einer Ausnahme enttäuschende Abschneiden in den bisherigen Grands Prix.
Die Österreicherin redet zudem über Honda als zukünftigen Lieferanten des Antriebsstrangs und über die Ziele, die mit der Sauber Holding angestrebt werden. Überdies sieht sie das eigene Unternehmen ebenso auf dem richtigen Weg wie die Formel 1 mit den neuen Machthabern.
Monisha Kaltenborn, vier WM-Punkte im Grand Prix von Spanien, daneben sechs Nuller in den weiteren sechs Rennen. Das hatten Sie sich anders vorgestellt.
«Wir sind nicht zufrieden, wo das Team im Moment steht. Wir haben natürlich gewisse Limitierungen gehabt im letzten Jahr. Das soll aber keine Ausrede sein. Die Einschränkungen betrafen bekanntermassen in erster Linie die finanziellen Mittel, was unter anderem Abgänge beim Personal bewirkt hat. Aufgrund der grossen Veränderungen im Reglement hätten wir mit der Arbeit auf Chassis-Seite für das neue Auto viel früher beginnen müssen. Wir haben zwar etwas entwickelt. Wenn aber die Mittel nicht vorhanden sind, um gewisse Teile zu produzieren, ist die Entwicklung auf gewisse Simulationen beschränkt. Erst mit dem Eigentümer-Wechsel konnten wir das Programm, das wir auf kleinster Flamme gefahren sind, etwas auffangen.»
Es braucht also Geduld.
«Selbstverständlich braucht es seine Zeit, bis der Aufwärtstrend spürbar wird. Neues Personal und Material waren ja nicht auf Anhieb vorhanden. Das hat auch die Entwicklung beeinflusst. Allerdings muss ich sagen, dass wir aus dem Wenigen, das wir vorerst hatten, nicht alles herausgeholt haben. Wir haben uns mehr erwartet. Jetzt sind die Techniker gefragt. Es geht darum, die Probleme zu lösen und den Rückstand aufzuholen, so dass wir uns Ende Saison im Mittelfeld finden sollten.»
Sie sprechen vom Anschluss ans Mittelfeld. Sie glauben nach wie vor daran?
«Wir wollen jetzt nicht träumen. Aber ich sehe keinen Grund, warum wir dies nicht erreichen sollten. Es kann nicht immer der Ferrari-Motor als Ausrede herhalten. Man hat ja bewusst den Entscheid getroffen, das letztjährige Modell zu verwenden. Wenn man das Umfeld des Motors kennt, kann man um dieses Umfeld entwickeln und hat dann mehr Zeit und besseren Fokus auf der Chassis-Seite. Wir wussten, was da auf uns zukommt. Natürlich war es eine Spekulation, wie viel andere mit den neuen Motoren zulegen. Es ist ein bisschen mehr geworden, als wir erwartet hatten. Wir kennen unser Defizit. Das heisst aber nicht, dass wir nicht zumindest einen Teil kompensieren können.»
Zur geringeren Leistung des Ferrari-Antriebs kam das Problem mit der Kühlung. Hat man das mittlerweile im Griff?
«Wir beabsichtigen, ab dem Grand Prix von Ungarn (Ende Juli, Red.) ein neues Kühlungspaket einzusetzen.»
Der Ferrari-Motor ist die Gegenwart, der Honda-Motor die Zukunft. Es kann Ihnen nicht gefallen, was im Moment bei McLaren abläuft.
«Natürlich ist das nicht gut. Aber ich würde jetzt keine Rückschlüsse darauf ziehen, was nächstes Jahr sein könnte. Das ist alles Spekulation. Ich habe keinen Grund zu zweifeln, dass sie das bei Honda in den Griff kriegen werden.»
Trotzdem beschäftigt Sie die Situation bei Honda. Wie stark verfolgen Sie das Geschehen bei McLaren?
«Wir verfolgen das selbstverständlich. Aber es hat nicht unmittelbaren Einfluss auf uns, denn McLaren und unser Team sind zwei getrennte Projekte. Wir sind zwei Kunden. Da wird es keine Synergien geben.»
Von Motorenseite her also keine Synergien. Aber sonst ist eine Zusammenarbeit denkbar, zum Beispiel im Bereich des Getriebes.
«Ich kann darüber zum jetzigen Zeitpunkt nichts sagen.»
Bleiben wir noch bei einer möglichen Zusammenarbeit mit McLaren. Nach dem Ausstieg von Audi aus der Langstrecken-WM hätte es wohl noch Kapazität im Windkanal hier in Hinwil.
«Wir bieten den Windkanal Dritten an. Dazu haben auch schon Teams aus der Formel 1 gezählt. Es gibt aber auch immer wieder Anfragen von Interessenten ausserhalb der Formel 1. Was das Drittkundengeschäft betrifft, sind wir offen.»
Wie stehen die neuen Besitzer von Sauber zur aktuellen Situation?
«Glücklich sind auch sie nicht über unsere bisherige Performance. Die Formel 1 ist die treibende Kraft bei uns, auch für das Drittparteiengeschäft. Das ist der Bereich, aus dem wir unser Know-how generieren. Wenn positive Rückmeldungen aus der Formel 1 kommen, ist das den Drittparteiengeschäften förderlich.»
Die Formel 1 ist ja nur eines der Geschäfte unter dem Dach der Sauber Holding. Wie ist die Situation in den anderen Abteilungen? Diese gehen vom Engineering-Bereich bis hin zu Projekten mit Türen oder Velos.
«Das läuft. Wir sind nach wie vor in den unterschiedlichsten Bereichen tätig. Was wir liefern im Drittparteiensystem, ist Engineering auf allerhöchstem Niveau. Diesen Ruf haben wir uns schon erarbeitet. Unter anderem sind wir im Drei-D-Print- und im Software-Bereich sehr innovativ. Das ist unabhängig vom Erfolg in der Formel 1.»
Man könnte also sagen: Während die Leistungen in der Formel 1 stagnieren, sind die anderen Bereiche der Holding in stetem Wachstum begriffen.
«Sie sind stetig am Wachsen. Da ist aber noch viel Luft nach oben. Die anderen Bereiche sollen dereinst mindestens so stark sein wie die Formel-1-Abteilung, so dass wir uns als Hightech-Unternehmen festigen und etablieren können.»
Die Formel 1 wird aber trotzdem ein wichtiges Standbein in Ihrem Unternehmen bleiben.
«Das muss so sein. Wir kommen aus der Formel 1 und haben dort unser Knowhow generiert. Dort haben wir unsere Wurzeln. Wir sind das viertälteste Team und haben uns etabliert. Deshalb sollte man das nicht vernachlässigen. Der Engineering-Bereich, den wir schon seit Jahren verfolgen, ist mir persönlich aber sehr wichtig. Dort ist es uns gelungen, grössere Aufträge einzuholen.»
Wie denken die Verantwortlichen beim neuen Besitzer über die Formel 1? Longbow hat zum Automobilrennsport keine Affinität.
«Ich kann nicht für Longbow sprechen. Aber unser Verwaltungsratspräsident (Pascal Picci, Red.) hat bei der Übernahme klar gesagt, dass es das Ziel ist, die Gruppe als Ganzes zu stärken. Das heisst, auf der einen Seite die Abteilung Formel 1 zu stabilisieren, auf der anderen Seite das Drittkundengeschäft zu stärken und in neue Bereiche zu führen.»
Wie nehmen Sie die neuen Besitzer der Formel 1 wahr?
«Sehr positiv. Ich bin sehr überrascht. Man merkte sehr schnell den Unterschied zu früher.»
Inwiefern?
«Es sind grundlegende Dinge transparenter geworden. Nunmehr wissen wir, was passiert und in welche Richtung sie bei Liberty gehen wollen mit der Formel 1. Die Offenheit in der Kommunikation – oder überhaupt eine Kommunikation zu haben – das alles ist neu für uns.»
Können Sie dafür Beispiele nennen?
«Früher haben sich die Besitzer nicht die Mühe gemacht, zu uns zu kommen, sich für uns und unsere Arbeit zu interessieren. Sean Bratches (Verantwortlicher für die kommerziellen Belange, Red.) hat sich selber ein Bild gemacht. Sie pflegen einen sehr offenen Kontakt. Zudem sind die neuen Eigentümer auf Gleichbehandlung der Teams bedacht. Ich bin überzeugt, dass sie neue Dinge einleiten, die man auf mehreren Ebenen spürt. Auch bei der Vermarktung sind sie viel offener. Ich glaube daran, dass sie ein Umfeld schaffen werden, das es auch einem kleinen Privatteam wie unserem ermöglicht, wieder vorne mitzufahren.»
Schön und gut. Aber bis zum Auslaufen des Concorde Agreements im Jahr 2020 sind ihnen in den wichtigsten Belangen die Hände gebunden.
«Da bin ich mir nicht so sicher. Alles hängt davon ab, wie man in die Verhandlungen geht. Alles ist veränderbar, wenn es alle möchten. Es kommt darauf an, was sie anzubieten haben – vor allem denen, die etwas aufgeben müssen. Das betrifft uns, Force India oder Renault weniger.»
Von der finanziellen Seite her ist Ihnen die Ausgewogenheit am wichtigsten. Dafür kämpfen Sie seit Jahren an vorderster Front.
«Das Ganze muss in drei Teilen betrachtet werden. Die Vermarktung unseres Sports ist betreffend Einnahmen der wichtigste Punkt. Die Information darüber wurde bisher sehr restriktiv gehalten. Jetzt haben wir das erste Mal überhaupt Zahlen gesehen, aus denen ersichtlich ist, wie die Formel 1 im Vergleich zu anderen Sportarten wahrgenommen wird.»
Haben Sie Einsicht gehabt in die entsprechenden Unterlagen?
«Bei Liberty haben sie Studien gemacht. Wo steht die Formel 1 im Vergleich zu ähnlichen Produkten? Da ist viel Potenzial vorhanden, um zu wachsen. Wo stehen Sportler-Persönlichkeiten aus der Formel 1 im Vergleich zu denen aus anderen Sportarten? All diese Marktdaten wurden früher gar nicht gemacht. Die Formel 1 ist ein gutes Produkt, das aber den neuen Gegebenheiten angepasst werden muss.»
Das ist der eine Punkt…
«Der zweite Punkt ist die Verteilung des Geldes. Das aktuelle System ist nicht nachvollziehbar. Das Schlimmste ist, dass es zu Wettbewerbsvorteilen führt. Ebenso wichtig sind die Anpassung des Reglements und die Kostenreduzierung. Es würde gar nichts bringen, wenn jedes Team zehn, fünfzehn Millionen mehr erhalten würde, die Kosten aber nicht eingedämmt werden. Da würde sich rein gar nichts ändern. All die Bereiche müssen gleichzeitig angegangen werden, um den Effekt zu erzielen, den wir alle möchten.»
Wo steht die Formel 1 im Jahr 2021?
«Sie ist bestimmt noch da (lacht) – egal, was andere Leute sagen. Wenn es in die Richtung läuft, wie es Liberty angekündigt hat, sollte sie gesünder sein und auch bei den Fans wieder besser ankommen. Dazu sollte sie weniger kompliziert und eine bessere Show sein.»