Nach erneuten gewaltsamen Protesten gegen die Ausweitung seiner Macht hat sich Ägyptens Präsident Mohammed Mursi um eine Entschärfung der Lage bemüht. Bei einem Treffen mit dem Obersten Richterrat des Landes versicherte er den Richtern, dass seine Verfügungen die Justiz in keiner Weise „beeiträchtigen“.
Dies sagte Mursis Sprecher Jasser Ali am Montagabend. An den umstrittenen Erlassen hielt der Präsident aber fest. Vor der Zusammenkunft Mursis mit seinen Kritikern hatte Justizminister Ahmed Mekki Bereitschaft zum Kompromiss angedeutet.
Der Oberste Richterrat wollte Mursi davon überzeugen, zumindest bei folgenschweren Entscheidungen wie Kriegserklärungen, dem Abbruch diplomatischer Beziehung mit einem anderen Land und der Verhängung des Kriegsrechts seine nahezu uneingeschränkte Macht zu begrenzen.
Mursis Justizminister Mekki schlug eine „Änderung“ der am Donnerstag erlassenen Verfassungserklärung in dem Sinne vor, dass nur die Fragen, welche die „souveränen Rechte des Präsidenten“ betreffen, nicht aber seine Entscheidungen in Verwaltungsfragen von der Überprüfung und der Aufhebung durch die Justiz ausgenommen sind.
Mursi hatte am Donnerstag per Dekret verfügt, dass seine Anordnungen rechtlich nicht mehr anfechtbar sind. Kritiker sehen darin eine totale Entmachtung des Justizsystems. Die ägyptische Justiz hatte Mursis Dekrete als „beispiellosen Angriff“ auf die Unabhängigkeit der Gerichte verurteilt.
Politisches Chaos droht
Das Land droht nach der Ausweitung der Machtbefugnisse von Mursi ins politische Chaos zu stürzen. Strassenschlachten zwischen den Gegnern und Anhängern des islamistischen Staatschefs setzten sich fort, nachdem am Sonntag ein Jugendlicher ums Leben gekommen war.
Der 15-Jährige wurde getötet, als Demonstranten in der Stadt Damanhur ein Gebäude der islamischen Muslimbruderschaft angriffen und sich Strassenschlachten mit der Polizei lieferten.
Am Kairoer Tahrir-Platz kam es zu Zusammenstössen zwischen Gegnern Mursis und der Polizei. Hunderte Demonstranten harrten dort bei einem Sitzstreik aus und weigerten sich zu gehen, bevor Mursi seine Dekrete nicht zurückgenommen habe. In den vergangenen Tagen wurden nach Angaben des ägyptischen Innenministeriums hunderte Demonstranten und Polizisten verletzt.
Die Muslimbrüder und die Salafisten sagten am Montagabend eine für den Dienstag angekündigte Kundgebung in Kairo ab, um Gewalt und Blutvergiessen zu verhindern, wie ein Vertreter der Muslimbruderschaft sagte. Sowohl Anhänger als auch Kritiker der Bruderschaft und von Präsident Mursi hatten zu Demonstrationen aufgerufen.
El Baradei fordert Rückzug
Der Oppositionelle Mohamed El Baradei forderte am Montag in einem Interview mit der unabhängigen Zeitung „Al-Masri al-Jum“ „schlicht und einfach“ den Rückzug der Verfassungserklärung. Mursi sei dabei, eine neue Diktatur aufzubauen, sagte El Baradei.
Er warnte davor, dass die Armee wie bereits nach dem Sturz des langjährigen Machthabers Husni Mubarak im Februar 2011 intervenieren könnte, um „das Chaos zu verhindern und das Vaterland zu schützen“.
Mursi betonte am Sonntag, dass seine Vollmachten nur bis zum Inkrafttreten der neuen Verfassung und der Wahl eines neuen Parlaments gelten würden. Die Verfassungserklärung sei notwendig gewesen, um das Ende zweier „demokratisch gewählter Institutionen“ zu verhindern, sagte Mursi mit Blick auf Oberhaus und Verfassungsversammlung.
Er rief alle Kräfte zu einem „demokratischen Dialog“ auf, um einen „nationalen Konsens“ zur Verfassung zu finden.