Gossip bieten den Zuschauern an ihrem Konzert in der Basler St. Jakobshalle genau das, was diese wollen. Das Punktrio aus Portland (USA) verkauft sich bestens. Und lässt gerade dadurch Wehmut aufkommen.
Beth Ditto ist die perfekte Gastgeberin: charmant, aufmerksam, hingebungsvoll. Nur mischt sie dieses uramerikanische Ideal mit einer dreisten Punk-Haltung. Sie stürmt jede Party und übernimmt das Kommando, ohne dass man es ihr übel nehmen würde. Anstelle von süssen Teilchen und wohltemperiertem Tee serviert das Trio aus Portland (USA) aber kreischende Gitarrenriffs, satte Schlagzeugrhythmen und die – im besten Sinne des Wortes – durchdringende Stimme Beth Dittos.
Der Gossip-Sound trifft auf die rund 4000 wartenden Zuschauer wie ein Tropensturm. Heiss, wuchtig, naturgewaltig. Die Vorgruppe «Lapcat», eine schweizerisch-amerikanische Kollaboration, hat zuvor ihren Job nur mässig erfüllt. Was nicht etwa an der Qualität ihrer Musik liegt, sondern an der mehr als zweifelhaften Booking-Entscheidung, Gossip eine etwas unterkühlte Trip-Hop-Band zur Seite zu stellen. Erst gegen Ende des knapp dreissigminütigen Auftritts von Lapcat beginnt deren Klanggebilde zu tragen. Wäre es ein anderer Ort, ein anderer Zeitpunkt (die kleine Bühne eines Openair-Festivals beispielsweise, um drei Uhr morgens): man wäre gespannt wie sich das Set weiterentwickeln würde. Hier und heute allerdings, kurz vor dem herbeigesehnten Gossip-Auftritt, hat niemand die Geduld sich auf die progressiven elektronischen Melodien einzulassen. Aus den hinteren Reihen rufen einige gar «Raus jetzt!».
Gossip-Gitarrist spielt bei der Vor-Vorband mit
Vielversprechender wäre da die Vor-Vorband gewesen. Noch vor dem offiziellen Beginn um 19.30 Uhr steht eine Frau mit Gitarre auf der Bühne. Bonnie Montgomery heisst sie, Countrylieder singt sie, und das so gut, dass man gerne mehr davon gehört hätte. Ihren Lebenspartner und Begleitgitarristen bekommt man an diesem Abend immerhin ein zweites Mal zu sehen: Nathan Howdeshell, der musikalische Mastermind von Gossip.
Im Interview mit der TagesWoche versprach er ein «dreckiges Konzert». Das löst er anfänglich noch nicht ganz ein. Gossip eröffnen mit «Move In The Right Direction» vom neuen Album «A Joyful Noise». Richtig wohltuend ist die Kraft, mit der die Musik durch die Zuschauerreihen fegt. Die Stimmung in der St. Jakobshalle ist gut. Die gänzlich ungezügelte Euphorie erfasst aber nur gerade die vordersten Reihen, wo Fahnen in Regenbogenfarben und die Amerikanische Flagge einträchtig nebeneinander geschwenkt werden. Als bezeichnend für die Konstanz der Stimmung kann der Umstand gelten, dass nicht einmal der politische Überhit «Standing In The Way Of Control» den kompletten Ausraster seitens der Zuschauer provoziert.
Im Mainstream angekommen
In der ersten Hälfte des Konzerts spielen Gossip überwiegend ältere Lieder. Natürlich dominiert Beth Dittos Stimme, schier unerschöpflich scheint die Kraft ihres Gesangs. Wären unsere Trommelfelle Türen, Beth würde sie eintreten. Immer wieder aber gibt es Sequenzen, wo sich die Schlagzeugerin Hannah Blilie mit ihren stampfenden Rhythmen in Erinnerung ruft. Sie spielt stoisch, ihr Blick verändert sich genauso wenig wie derjenige des Totenkopfes auf ihrem T-Shirt. Dann wieder drängen sich Gitarrenklänge, gezupft, gehämmert in den Vordergrund, auch ohne dass Nathan Howdeshell dafür seinen Platz hinter Gitarre und Sängerin verlassen müsste.
Gossip sind im Mainstream angekommen, das zeigt die Grösse des Veranstaltungsortes, das zeigen die Kuchentheken beim Eingang, das zeigen auch die Zuschauer, die bei jedem Song rhythmisch mitklatschen. Aber aus unerfindlichen Gründen werden hie und da komplett unnötige Effekte eingespielt, als hätte das Trio das Gefühl, dass solcher Schnickschnack bei Stadionkonzerten erforderlich sei. Dabei hätte es Dittos Stimme doch gar nicht nötig, vervielfältigt zu werden. Sie klingt nach, auch ohne künstlich erzeugtes Echo.
Schweizerdeutsch funktioniert immer
Die Gastgeberin weiss, dass der Funke in einer Halle weniger leicht überspringt als in den kleinen, überhitzten Clubs, in denen Gossip ihren Ruf einer fulminanten Liveband erspielt hatten. Sie witzelt zwischendurch und versucht sich in Schweizerdeutsch (das funktioniert immer). So gelingt ihr das Kunststück, eine Verbindung zum Publikum aufzubauen und die ganze Menge zu erreichen – sogar die Leute auf der Tribüne (wer hört sich eigentlich ein Gossip-Konzert sitzend an?). Aber die Intensität ist nicht mehr mit jener ihrer früheren Tage zu vergleichen. Ein bisschen wehmütig denkt man an die Zeiten zurück, als das Trio auf Nebenbühnen der Sommer-Festivals auftrat, die Sängerin sich halbnackt in den Schlamm warf, die Euphorie pandemisch um sich griff.
Heute wechselt Beth Ditto ihr Kleid für die Zugabe, früher hatte sie zu diesem Zeitpunkt meist gar keine Kleider mehr an. Artig verrotzt sie den Tina Turner-Song «What’s Love Got To Do With It?» und leitet dann das Grande Finale ein. Mit «Heavy Cross», jener Single, die in Deutschland dreifachen Goldstatus erreicht hat. Der grösste Hit zum Schluss, wie es sich gehört im Stadionrock. Zuvor sagte Ditto – vielleicht auch zu sich selber: «It’s funny what happens to a punk band, when it gets big.»