25 Jahre sind seit der Räumung der offenen Drogenszene auf dem Zürcher Platzspitz vergangen. Die Erinnerung an den damals international bekannten und berüchtigten «Needle Park» verblasst langsam.
Manche Jugendliche und junge Erwachsene wissen heute kaum mehr, was sich in in den 1980er und zu Beginn der 1990er-Jahren auf dem Areal hinter dem Landesmuseum abspielte.
Von der Nachrichtenagentur sda zum Begriff «Platzspitz» befragt, fällt etwa der 17-jährigen Lisa aus Zürich spontan ein: «Pfadi». Vor und nach ihren Lagern würden sich die Pfadfinderinnen und Pfadfinder jeweils im Park in der Nähe des Hauptbahnhofs versammeln.
Die gleichaltrige Livia aus der Region Basel muss raten. Anhand des Namens entscheidet sie sich schliesslich für einen «Platz mit einer spitzen Form» – und sie hat damit Recht: Die Parkanlage wurde im 18. Jahrhundert auf dem spitz zulaufenden Gelände zwischen Limmat und Sihl erstellt.
Dass der Platzspitz «etwas mit Drogen und Junkies» zu tun hatte, wissen zwar viele junge Leute heute noch. Die Kenntnisse sind aber teils verzerrt. So meint eine 26-Jährige aus Zürich zu wissen, das dort «die Leichen teils tagelang herumlagen» und die Polizei «vor allem mit dem Entfernen der Toten» zu tun gehabt habe.
«Unüberlegter Schnellschuss»
Nur wenige kennen noch die Umstände, die zur Räumung am 5. Februar 1992 geführt hatten. Der damalige Statthalter Bruno Graf (CVP) verlangte im Oktober 1991, der «Needle Park mit der unliebsamen Berühmtheit» müsse rasch, umfassend und konsequent geräumt werden.
Die Hilfseinrichtungen seien abzubrechen und der Park abzusperren. Zudem habe die Stadt dafür zu sorgen, dass eine Neuauflage ähnlicher Szenen im Keime erstickt würde.
Vergeblich hatte sich der städtische Polizeivorstand Robert Neukomm (SP) mit einem Rekurs an die Kantonsregierung gegen die Verfügung gewehrt. Sie sei «ein unüberlegter Schnellschuss», warnte er. Auch für den Stadtrat war zwar klar, dass die Zustände auf dem Platzspitz unhaltbar waren. Neukomm plädierte jedoch dafür, an der Drogenpolitik der kleinen Schritte festzuhalten.
3000 Fixer registriert
Seit etwa Mitte der 1980er-Jahre war die offene Drogenszene im Park geduldet worden. Zuvor waren Drogensüchtige umgehend vertrieben worden, sobald sich einige von ihnen irgendwo zusammenfanden.
1985 waren in der Stadt rund 3000 Fixer registriert. Im gleichen Jahr wurden 118 Drogentote gezählt. Der damalige Zürcher Kantonsarzt verbot die Abgabe von Spritzen.
Der Platzspitz entwickelte sich zum europäischen Drogenmekka. Bis zu 3000 Süchtige aus dem In- und Ausland deckten sich hier täglich mit Stoff ein, vor allem Heroin. Hilfsangebote wie eine mobile Kontakt- und Anlaufstelle wurden eröffnet.
1991 wurden im Park 5 Millionen Spritzen verteilt. 3600 mal wurden Fixer reanimiert, 21 Menschen starben am Drogenkonsum.
Verschiebung zum Letten
Derweil begann bei Behörden und Öffentlichkeit langsam ein Umdenken. Es führte weg von der bis dahin vorherrschenden Theorie, die Süchtigen müssten nur genug ins Elend absinken, dann hörten sie schon von selber auf zu fixen.
1990 sagte die Stadtbevölkerung Ja zur Erweiterung der Drogenpolitik. Sie ruhte nun auf den vier Säulen Repression, Prävention, Therapie und – neu – Überlebenshilfe. Aber noch bevor die Strategie greifen konnte, verfügte der Statthalter die Schliessung des Parks.
Ohne flankierende Massnahmen war die Aktion jedoch zum Scheitern verurteilt. Die Szene verlagerte sich zum stillgelegten Bahnhof Letten, wenig unterhalb des Platzspitz. Sie wurde buchstäblich zur Drogenhölle, geprägt von brutaler Gewalt.
Süchtige gibt es noch immer
Jetzt boten auch Kanton und Bund Hand zu einer neuen Drogenpolitik. Im Februar 1995 – drei Jahre nach dem Fiasko der Platzspitz-Schliessung – wurde auch der Letten geräumt. Diesmal war die Aktion gut vorbereitet und wurde mit zahlreichen Hilfsangeboten wie kontrollierter Heroinabgabe, Methadonprogramm, Arbeitsintegration und dergleichen begleitet.
Seither bildete sich in der Stadt Zürich keine offene Drogenszene mehr, auch wenn es nach wie vor Süchtige gibt. Handel und Konsum erfolgen laut Stadtpolizei-Sprecher Marco Cortesi weitgehend im privaten Raum. Auch wenn Drogenfahnder nach wie vor zu tun haben, ist die Situation für Bevölkerung und Polizei deutlich besser als vor 25 Jahren. Und der Platzspitz ist wieder ein lauschiger Park.