Regisseur Roman Polanski hatte sein Kommen angekündigt, um in Locarno einen Preis entgegenzunehmen. Doch weil Polanski des Missbrauchs einer Jugendlichen angeklagt ist, liessen die Reaktionen nicht lange auf sich warten. Nun hat er abgesagt. Die Festivalleitung ist konsterniert.
Es sei sein schwärzester Tag, seit er vor zwei Jahren die Leitung des Festival del film übernommen habe, sagte Carlo Chatrian in einer Videobotschaft vom Dienstag. Es seien Grenzen überschritten und verbale Gewalt ausgeübt worden.
In einem Communiqué der Festivalleitung, das Auszüge aus Polanskis Absage enthielt, sprach die Leitung von «wiederholten inakzeptablen Einmischungen in künstlerische Entscheidungen des Festivals». Das Festival del film sei «der künstlerischen Freiheit verpflichtet»: «In der langen Festivalgeschichte hat es dieses Grundprinzip immer gegen Einmischung und Druck verteidigt und wird das auch in Zukunft mit aller Entschiedenheit tun.»
In seinem Brief an die Festivalleitung schrieb der Regisseur, der vielbeachtete Filme wie «Rosemary’s Baby» (1968), «Tanz der Vampire» (1967) oder «The Pianist» (2002) schuf, er habe festgestellt, dass sein geplantes Erscheinen bei «gewissen Personen, deren Haltung ich respektiere, zu Spannungen und Kontroversen führt. Ich bedaure, dass ich euch damit enttäuschen muss.»
Bereits bei der Eröffnung am Mittwoch hatte der langjährige Festivalpräsident Marco Solari die Einladung an den Regisseur verteidigt. Und der operative Leiter, Mario Timbal, sagte anlässlich eines Interviews mit dem Tessiner Newsportal «Libera TV»: «Wir haben einen grossartigen Regisseur eingeladen und ausgezeichnet. Das ist ein künstlerisches Urteil. Alle juristischen Urteile überlassen wir den dafür zuständigen Instanzen.»
Drastische Worte von Tessiner Politikern
Nach der Ankündigung Polanskis Ende Juli zeigten sich die Tessiner SVP und CVP sowie die Kinderschutzstiftung ASPI entrüstet. Mit teilweise harschen Worten wurde das Festival dafür kritisiert, den vielfach ausgezeichneten, aber umstrittenen Regisseur eingeladen zu haben.
Der Filmemacher hätte in Locarno am Donnerstagabend einen Sonderpreis entgegennehmen und mit seiner Ehefrau, der Schauspielerin Emmanuelle Seigner, seinen aktuellen Film «La Vénus à la fourrure» präsentieren sollen. Für Freitag hätte schliesslich eine Masterclass mit dem Regie-Meister auf dem Programm gestanden.
Dem heute 80-jährigen Polanski wird in den USA vorgeworfen, 1977 eine Minderjährige missbraucht zu haben. Nach einem kurzen Gefängnisaufenthalt setzte er sich damals nach Grossbritannien und Frankreich ab. Seitdem droht ihm die Auslieferung in die USA.
Der Filmschaffende wurde in diesem Zusammenhang 2009 bei seiner Einreise in die Schweiz am Flughafen Zürich festgenommen. Anstatt den Preis für sein Lebenswerk am Zurich Film Festival entgegennehmen zu können, wurde Polanski damals in Haft genommen, die anschliessend in Hausarrest umgewandelt wurde.