Klar wie Eis und dunkel wie die Nacht strahlen die Fanfaren von «Naked Lunch» aus Österreich. Daran erinnern sie an ihren besten Momenten auf der Bühne des Sommercasino. Leider nur dann.
Als sich ihr Set dem Schluss nähert, schnallt sich Oliver Welter noch einmal die akustische Gitarre um und macht eine Ansage, in der sich das unbegreifliche Bandschicksal von Naked Lunch auf wenige Worte verdichtet. «Unsere damalige Plattenfirma sagte uns, nach diesem Song müssten wir nie mehr arbeiten gehen», sagt er. Stattdessen ging die Plattenfirma konkurs, und Naked Lunch spielen Konzerte wie an diesem kalten Karfreitagabend im Sommercasino: vor einem spärlich erschienen und ruhigen Publikum, zu dem die Band kaum den Draht findet.
«Military Of The Heart» heisst das Stück, und einem anderen, gerechteren Leben hätte das Stück mit seinen Melodien, klar wie Eis und dunkel wie die Nacht, tatsächlich genügend Tragfläche entwickeln müssen, um die Band fortan durch ihre Karriere zu tragen. «We don’t need entertainment, we entertain ourselves», singt Welter mit seiner hellen, pathosbefrachteten Stimme. Als gäbe er eine trotzige Selbsterklärung ab nach einer über zwanzig Jahre langen Bandgeschichte.
Der tiefe Fall hat geprägt
In früheren Jahren reiste die Band aus Klagenfurt zwischen New York und London hin und her, hatte einen gut dotierten internationalen Plattenvertrag in der Tasche, veröffentlichte Alben, die Kritikerlieblinge wurden und legte ihren Songs teure und epische Videoclips bei. Danach, 1999, folgte das Flopalbum «Love Junkies», das trotz Doppelveröffentlichung in den Regalen kleben blieb, und die Band fiel derart tief, dass Sänger Welter für eine Weile auf der Strasse oder in seinem Auto lebte.
Aus diesen Fallhöhen schufen Naked Lunch grandiose Verwertungen – in der Sprache, die Welter für dramatische Bildwelten nutzte, aber auch um Sound. In den Nullerjahren veröffentlichten Naked Lunch mit «Songs For The Exhausted» und «This Atom Heart Of Ours» zwei Alben, die in der Melodiesetzung phasenweise an die spielerische Klasse der Beatles erinnerte, jedoch durchwuchert waren von einem düsteren Grundton, von zersetzenden Störgeräuschen aus Samples und Synthesizer. In schattiger Schönheit und mit fragiler Raffinesse zimmerte das Quartett seine Meisterwerke.
Wie schwer sich diese pastellfarbenen Soundwelten auf die Bühne verfrachten lassen, wird im Sommercasino indes schnell klar. Nach einem furiosen Start und einem herausragenden «My Country Girl», das als zitternde Zupfballade mit Hauchgesang beginnt und mit Donnerkaskaden aus Gitarre, schwerem Bass und elektronischen Salven endet, deren Rauschen von elegischen Chorgesängen veredelt ist, zerfaserte das Konzert.
Langatmige Instrumental-Intermezzi
Die aufgedonnerten Hymnen, vor denen auch ihr aktuelles Album «All Is Fever» strotzt, zerfasern zäh auf der Bühne. In «The Sun» entwickeln sich seltsam klaffende Gesangs-Musik-Scheren, in denen Welters feierliche Stimme etwas verloren über isoliert puffenden elektronischen Schwaden kreist, ausserdem ziehen sich die instrumentalen Intermezzi, in denen das Quartett die verschiedenen Samples und Loops aufeinander abstimmt, derart in die Länge, dass die vorher aufgebaute euphorisierende Melancholie versandet.
Da Naked Lunch ausserdem alles andere als Könige der ironischen Brechung sind und ihr offenbar nur zaghaft interessiertes Publikum mit ihrer knurrenden Vorwurfshaltung nicht auf ihre Seite zu ziehen vermögen, verliert das Konzert seine ergreifende Empathie. Die Kärtner verhindern den völligen Abrutscher in die Enttäuschung regelmässig mit opulenten Fanfaren, die in ihrer Soundwucht manchmal an die Klangwälle eines Phil Spectors erinnern – vor allem aber daran, in welch vollkommenem Glanz ihre Stücke auf Platte strahlen. Mehr als eine gedämpfte Reflektion davon scheint von der Bühne nicht zurück.