Die Schweizerische Nationalbank (SNB) hat das Kapitel «Euro-Mindestkurs» beendet. Die im September 2011 eingeführte Untergrenze ist per sofort aufgehoben. Das hat heftige Reaktionen ausgelöst. Die SNB verfügt jetzt jedoch wieder über mehr Handlungsspielraum.
Die früher so bedächtige Nationalbank war seit der Finanzkrise immer mal wieder für eine Überraschung gut. Am Donnerstag wartete die SNB mit einem weiteren Paukenschlag auf. Nachdem SNB-Präsident Thomas Jordan noch vor zehn Tagen den Euro-Mindestkurs als «zentral» bezeichnet hatte, hoben er und seine Direktionsmitglieder diese bis anhin unverzichtbare Massnahme auf.
Den plötzlichen Kurswechsel begründete er vor den Medien in Zürich einerseits mit dem Rückgang der starken Überbewertung des Frankens, andererseits mit der internationalen Entwicklung. «Die Unterschiede in der geldpolitischen Ausrichtung der bedeutenden Währungsräume haben sich in letzter Zeit markant verstärkt», sagte er.
Jordan sprach damit die divergierenden geldpolitischen Massnahmen in den USA und in der Eurozone an. Während die US-Notenbank Fed aufgrund der anziehenden Konjunktur in den USA die Geldschwemme in den nächsten Monaten einschränken will, hat die europäische Zentralbank EZB begonnen, die Geldschleusen noch stärker zu öffnen, um ein weiteres Abstürzen der Eurozone zu verhindern.
Hat die SNB kapituliert?
Diese Absichten der Fed und der EZB waren jedoch spätestens ab Herbst 2014 absehbar oder sogar bekannt. Es bleibt darum die Frage, warum die SNB den Mindestkurs gerade jetzt aufhebt. Jordan hatte darauf an der Medienkonferenz in Zürich keine klare Antwort. Er verwies nur auf die «diversen Entwicklungen in den letzten Wochen», ohne jedoch auszuführen, was er damit genau meint.
Jordan überlässt damit die Beantwortung der Frage der Spekulation. Eine naheliegende und gestern von diversen Fachleuten geäusserte Vermutung ist, dass die Nationalbank schlicht vor dem Druck der Finanzmärkte eingeknickt ist.
Die SNB soll demnach zur Verteidigung des Mindestkurses in den letzten Wochen derart stark am Devisenmarkt intervenieren haben müssen, dass sie eine weitere Aufblähung der Bilanz nicht mehr verantworten konnte.
Jordan wies diese Unterstellung jedoch zurück. Der grosse Druck auf den Mindestkurs sei nicht ausschlaggebend gewesen, sagte er und verwies einmal mehr auf die internationale Entwicklung.
Angst vor einem weiteren Ausbruch der Eurokrise
Näher liegt darum die Vermutung, dass die SNB über diese Entwicklung genaueres weiss als die Öffentlichkeit. Zum Beispiel, dass sich die Eurokrise in den nächsten Monaten tatsächlich wieder deutlich zuspitzen wird. Eine Bemerkung des SNB-Präsidenten kann jedenfalls als Hinweis darauf gedeutet werden. «Die Aufhebung des Mindestkurses hätte in sechs oder zwölf Monaten grössere Nebenwirkungen», sagte er.
Mit diesen Nebenwirkungen kann Jordan nur gemeint haben, dass mit der Beibehaltung des Mindestkurses die Bilanz der SNB noch deutlich stärker aufgeblähte wäre als heute. Die Auswirkungen des Aufwertungsdruck auf die Schweizer Exportwirtschaft dagegen kann keine Nebenwirkung sein.
Die Marktkräfte werden dann zumal nämlich genau gleich stark wirken wie heute. Gestern Nachmittag sank der Euro gegenüber dem Franken auf 1,03 Franken. Der Dollar sackte auf 88 Rappen ab.
Die Nationalbank will jedoch den Devisenkurs nicht nur den Märkten überlassen. Sie kündete gestern an, auch künftig bei Bedarf am Devisenmarkt intervenieren zu wollen. Vor allem aber gab sie gestern bekannt, die Zinsen weiter zu senken.
Ab sofort müssen Geschäftsbanken bei Einlagen bei der SNB 0,75 Prozent Strafzins zahlen. Auch die Ausleihung von Geld unter den Geschäftsbanken soll künftig für den Geldgeber kosten. Mit diesen Massnahmen will die SNB den Schweizer Franken unattraktiv für ausländische Anleger machen.
Nationalbank setzt auf Abschreckung
Jordan liess am Donnerstag durchblicken, dass selbst die Nationalbank von der Wirksamkeit dieser bereits Mitte Dezember eingeführten Negativzinsen überrascht war. «Die Einführung der Negativzinsen hat den Handlungsspielraum erhöht», sagte er. Nach dem einengenden Mindestkurs hat die Nationalbank mit den Negativzinsen offenbar ein Mittel gefunden, wieder freier entscheiden zu können.
Auch dies dürfte eine Mitauslöser des abrupten Kurswechsels sein. Die Nationalbank hat sich wohl in Anbetracht der zu erwartenden heftigen Reaktionen gesagt: Lieber ein Ende mit Schrecken, als ein Schrecken ohne Ende.
Historischer Tag für Aktienmarkt
Die SNB bescherte dem Schweizer Aktienmarkt einen historischen Tag und einen selten massiven Kurssturz. Nach Bekanntgabe des Entscheides zur Aufhebung des Mindestkurses ging es nicht nur an den Devisen- sondern auch an den Aktienmärkten drunter und drüber.
Am Schweizer Aktienmarkt fiel der SMI in den ersten Minuten nach Bekanntgabe des Entscheids um gut 600 Punkte, und nach einem kleinen Stabilisierungsversuch um weitere 800 Punkte ins Bodenlose.
Der Swiss Market Index (SMI) beendete die turbulenteste Sitzung seit langem mit einem Minus von 8,67 Prozent bei 8400,61 Punkten. Der breite Swiss Performance Index (SPI) sank um 8,58 Prozent auf 8284,45 Punkte. Von den 30 wichtigsten Aktien schlossen ausser jenen von Swisscom alle im Minus.
Der Euro hat sich nach einem Ausflug deutlich unter die Parität am Abend bei einem Niveau von 1,04 eingependelt und der Dollar bei rund 90 Rappen.