Wässriger Schinken und Fruchtsirups fast ohne Früchte: Die angeblich minderwertigen Lebensmittel aus der EU sollen aus den Regalen verschwinden. Der Nationalrat will das Cassis-de-Dijon-Prinzip für Lebensmittel aufheben.
Dieses war 2010 eingeführt worden: Bestimmte nach Vorschriften der EU hergestellte Produkte dürfen auch in der Schweiz in Verkehr gebracht werden. Lebensmittel brauchen zusätzlich eine Bewilligung des Bundesamtes für Lebensmittelsicherheit und Veterinärwesen (BLV).
Als der Bundesrat die Einführung des Cassis-de-Dijon-Prinzips vorschlug, ging er davon aus, dass ein Drittel der Importe aus der EU darunter fallen könnte. Die möglichen Einsparungen für die Konsumentinnen und Konsumenten bezifferte er auf 2 Milliarden Franken pro Jahr.
Erwartungen nicht erfüllt
Diese Erwartungen erfüllten sich nicht. Die Preise sanken nicht spürbar, und das Interesse an Importen unter erleichterten Bedingungen ist klein. Gemäss einer aktuellen Statistik des BLV wurden im Lebensmittelbereich bisher 179 Gesuche gestellt. Davon wurden 47 bewilligt und 36 abgelehnt. Fast ein Drittel der Gesuche wurde zurückgezogen, auf die übrigen konnte entweder nicht eingetreten werden oder sie sind noch in Bearbeitung.
Grösser als das Interesse des Handels war die öffentliche Entrüstung, welche Meldungen über angeblich minderwertige Lebensmittel aus der EU auslösten. In der Folge stimmten die Wirtschaftskommissionen beider Räte einer parlamentarischen Initiative von Bauernverbandsdirektor und FDP-Nationalrat Jacques Bourgeois (FR) zu. Diese hat zum Ziel, das Cassis-de-Dijon-Prinzip im Lebensmittelbereich wieder abzuschaffen.
Fraktionen gespalten
Der gestützt darauf erarbeiteten Gesetzesänderung stimmte der Nationalrat nun mit 109 zu 65 Stimmen bei 8 Enthaltungen zu. Die Vorlage spaltete die Fraktionen: 18 Mitglieder der CVP-Fraktion stimmten für die Abschaffung, 11 dagegen. Die FDP hatte sich gegen die Vorlage ausgesprochen, trotzdem stimmten 10 Fraktionsmitglieder zu. Bei der SP gab es 14 Abweichler.
Geschlossen traten hingegen die SVP und die Grünen auf, die sich für die Abschaffung einsetzten. Mit dem Cassis-de-Dijon-Prinzip würden die Konsumenten getäuscht, die glaubten, es handle sich um Schweizer Produkte, sagte der ehemalige Bauernverbands-Präsident Hansjörg Walter (SVP/TG). «Das führt zu Verunsicherung.»
Sein Nachfolger, der St. Galler CVP-Nationalrat Markus Ritter, verwies als Kommissionssprecher auf die ausgebliebenen Wirkungen des Cassis-de-Dijon-Prinzips. In der Verwaltung würden für die Umsetzung sechs Personen beschäftigt, die anderweitig besser eingesetzt werden könnten, sagte er.
Mit den Grünen teilten die bürgerlichen Gegner des Cassis-de-Dijon-Prinzips die Sorge um die Qualitätsstrategie der Schweizer Landwirtschaft und der Ernährungswirtschaft. «Das Cassis-de-Dijon-Prinzip untergräbt schweizerische Qualitätsstandards und gehört deshalb abgeschafft», sagte der Grüne Louis Schelbert (LU).
Damit schade es der einheimischen Landwirtschaft, warnte BDP-Sprecher Hansjörg Hassler (BDP/GR). Da auch die erwarteten Preissenkungen nicht eingetreten seien, gebe es keine wirtschaftlichen Gründe, das Prinzip weiter aufrecht zu erhalten.
Vorwand für Protektionismus
Die Befürworter der erleichterten Einfuhren sahen darin nur Vorwände. Der Agrarlobby gehe es nicht um Qualität, sondern um Protektionismus, sagte Kathrin Bertschy (GLP/BE). Es gebe keinen Grund, die Wahlfreiheit einzuschränken: «Lassen wir die Konsumenten selber entscheiden, ob Ihnen Rahmglace mit 5 oder 6 Prozent Fettanteil besser schmeckt.»
Die Schweiz habe eine hohe Qualität mit gut eingeführten Labels wie Bio, MSC oder Regofair, rief Prisca Birrer-Heimo (SP/LU) in Erinnerung. «Wer hat da Angst vor einem ausländischen Sirup mit einem etwas tieferen Fruchtanteil?», fragte die Präsidentin der Stiftung für Konsumentenschutz. Man dürfe zudem nicht so tun, als ob im Ausland nicht auch gute Produkte hergestellt würden. «Das ist ein Affront.»
Die Gegner der Vorlage warnten zudem davor, dem Einkaufstourismus weiter Vorschub zu leisten. Zu ihnen gehörte auch Wirtschaftsminister Johann Schneider-Ammann. Er sprach von einem «Instrument gegen den Einkaufstourismus». Schneider-Amman gestand ein, dass die Preise kaum gesunken seien. Wo sie heute ohne das Cassis-de-Dijon-Prinzip lägen, wisse man aber nicht.
Die Vorlage geht nun an den Ständerat.