Nationalrat will mehr Rechte für Opfer von Straftaten

Der Nationalrat verschärft die Gangart gegenüber Straftätern: Deren Opfer und weitere von der Straftat betroffene Personen sollen künftig detailliert Auskunft erhalten über den Strafvollzug, die Entlassung oder die Flucht des Täters.

Blick auf einen Seitenflügel der Haftanstalt Champ-Dollon (Archiv) (Bild: sda)

Der Nationalrat verschärft die Gangart gegenüber Straftätern: Deren Opfer und weitere von der Straftat betroffene Personen sollen künftig detailliert Auskunft erhalten über den Strafvollzug, die Entlassung oder die Flucht des Täters.

Dass die Informationsrechte der Opfer ausgebaut werden sollen, war im Nationalrat unbestritten. SP-Nationalrätin Susanne Leutenegger Oberholzer (BL) hatte 2009 eine parlamentarische Initiative mit dem Ziel eingereicht, dass Opfer nicht nur über das laufende Strafverfahren, sondern auch über wesentliche Entscheide zum Strafvollzug des Täters informiert werden.

Die Rechtskommission des Nationalrats arbeitete daraufhin einen Entwurf aus, der Opfer, aber auch Dritte mit einem schutzwürdigen Interesse berücksichtigt. Damit können neben Angehörigen beispielsweise Zeugen oder vermeintliche Opfer gemeint sein.

Keine Wunden aufreissen

Diese sollen auf Gesuch hin über Strafantritt, Vollzugseinrichtung, Details des Vollzugs und allfällige Lockerungen, Entlassung oder die Flucht des Täters informiert werden. «Viele Opfer werden durch die Straftaten langfristig traumatisiert», sagte Leutenegger Oberholzer. Dank der zusätzlichen Informationen sollen sie unerfreulichen Begegnungen mit ihren Peinigern besser aus dem Weg gehen können.

Dafür fehlt heute die gesetzliche Grundlage, weshalb auch der Bundesrat der Neuregelung zustimmte. Er warnte jedoch vor einem allzu weit gefassten Kreis von Personen, die davon profitieren. Von Angehörigen oder Dritten sei auch im Initiativtext nicht die Rede, rief Christa Markwalder (FDP/BE) in Erinnerung.

Markwalder vertrat eine Minderheit, die die neuen Informationsrechte neben den Opfern lediglich Angehörigen zugestehen wollte, welche zivil- oder öffentlichrechtliche Ansprüche geltend machen. Auch Justizministerin Simonetta Sommaruga trat dafür ein, den Kreis der Informationsberechtigten einzuschränken.

Das sei aus Gründen der Verhältnismässigkeit geboten, sagte sie: «Nur wer eine gewisse Nähe zur Straftat aufweist, soll informiert werden». Die Mehrheit war anderer Meinung: Der Nationalrat stimmte dem Kommissionsentwurf mit 125 zu 57 Stimmen zu.

Verhältnismässigkeit zählt nicht

Der Bundesrat hatte auch verlangt, dass vor der Information eine umfassende Abwägung der Interessen des Täters und jener der Opfer respektive Dritter vorgenommen wird. Der Entwurf sieht eine Verweigerung oder einen Widerruf der Informationsrechte nur dann vor, wenn der Verurteilte einer ernsthaften Gefahr ausgesetzt wäre.

«Dies tönt eher nach Mob und Lynchjustiz als nach Strafvollzug in einem zivilisierten Land», sagte Markwalder. Die Information des Opfers sei ein Eingriff in das Grundrecht der informationellen Selbstbestimmung des Täters, erklärte Sommaruga. Dies sei nur dann zulässig, wenn das Informationsbedürfnis des Opfers überwiege. «Deshalb ist ist eine umfassende Interessenabwägung nötig.»

Opferschutz mindestens gleich wichtig

Täterschutz und der Grundsatz der Verhältnismässigkeit hatten im Nationalrat aber einmal mehr einen schweren Stand. «Die Rechte des Opfers sind ebenso wichtig, wenn nicht wichtiger als jene des Täters», fasste die Grünliberale Isabelle Chevalley (VD) die Haltung der Mehrheit zusammen.

Der Rat folgte seiner Kommission mit 103 zu 80 Stimmen. Die Schlussabstimmung passierte der Entwurf mit 166 gegen 8 Stimmen bei 9 Enthaltungen. Dieser geht nun an den Ständerat.

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