Die obligatorische Krankenversicherung soll auch weiterhin für die Kosten von Abtreibungen aufkommen. Der Nationalrat lehnte am Mittwoch eine Initiative, die dies ändern will, wuchtig ab. Die Mehrheit beurteilte die Initiative als markanten Rückschritt.
Die Kosten der Grundversicherung für Abtreibungen belaufen sich auf rund 8 Millionen Franken pro Jahr. Mit jährlich einem Prämienfranken schlagen sie marginal zu Buche. Die Initianten führen deshalb grundsätzliche Überlegungen für ihre Forderung an, Schwangerschaftsabbrüche aus dem Leistungskatalog zu streichen.
Der Volksentscheid von 2002 mit 72,2 Prozent Ja-Anteil für die Fristenregelung beim Schwangerschaftsabbruch sei zu akzeptieren, sagte Befürworter Toni Bortoluzzi (SVP/ZH). Wer aber aus ethischen Gründen Abtreibungen ablehne, solle sich nicht finanziell daran beteiligen müssen.
Nach einer mehrstündigen Debatte, die sich hauptsächlich um die Abtreibungsfrage selbst drehte, lehnte der Nationalrat das Volksbegehren mit 130 zu 29 Stimmen bei 19 Enthaltungen ab. Ja stimmten Teile der SVP sowie einzelne Vertreter der CVP.
Bewährtes System zunichte machen
Die heutige Regelung für den Schwangerschaftsabbruch solle nicht in Frage gestellt werden, betonten die Befürworter der Initiative «Abtreibung ist Privatsache». Aus Sicht der Initiativgegner würde die Fristenregelung, die Abtreibungen in Notlagen erlaubt, dagegen zunichtegemacht.
Jede Frau habe heute Zugang zum fachgerecht durchgeführten Schwangerschaftsabbruch, sagte Kommissionssprecherin Barbara Schmid-Federer (CVP/ZH). Damit würden ungewollte Schwangerschaften verhindert, welche für die betroffenen Frauen eine Belastung darstellten.
Die Kostenübernahme sei 2002 auch vom Volk angenommen worden, sagte Daniela Schneeberger (FDP/BL). Die finanziellen Hürden für einen Schwangerschaftsabbruch sollten ebenfalls abgebaut werden.
Rückschritt ins Mittelalter
Die Befürworter sehen die Kostenübernahme als Teil der Eigenverantwortung der Frauen. Die Kosten von 800 bis 1000 Franken seien zumutbar, sagte Bortoluzzi.
Dagegen hielten die Gegner fest, dass schon heute ein grosser Teil der Abtreibungen nicht von den Kassen bezahlt wird: Einerseits leisten die Patientinnen einen Selbstbehalt, andererseits fallen die Kosten häufig in die Franchise. Ohne Vergütung könnten wieder die finanziellen Möglichkeiten den Entscheid zu einer Abtreibung beeinflussen.
Auch illegale und mangelhaft durchgeführte Eingriffe könnten wieder häufiger werden – wie im Mittelalter, sagte Bea Heim (SP/SO). Die Folgen davon könnten die Grundversicherung mehr kosten, als mit der Nicht-Übernahme gespart werde.
Mehrere Rednerinnen und Redner wiesen darauf hin, dass die Zahl der Abtreibungen seit Einführung der Fristenregelung tendenziell sinke. In der Schweiz gab es 2011 rund 11’000 Abtreibungen, wie Bundesrat Alain Berset sagte. Im europäischen Vergleich liegt die Abbruchrate sehr tief. Das zeige, dass das Schweizer System funktioniere.
Entsolidarisierung befürchtet
Die Initiative öffne eine «Büchse der Pandora», da mit der gleichen Argumentation auch weitere Leistungen ausgeschlossen werden könnten, warnte Schmid-Federer. Folgen des Rauchens oder von Übergewicht müssten ebenfalls gestrichen werden, sagte Thomas Weibel (GLP/ZH).
Als nächster Schritt der Entsolidarisierung könnte die Übernahme von Gesundheitskosten für Ältere oder für Behinderte in Frage gestellt werden, gab Christian Lohr (CVP/TG) zu bedenken.
Männer können sich aus der Affäre ziehen
Mehrmals stellten Rednerinnen und Redner fest, dass es zur Zeugung auch einen Mann braucht. Männer würden aber bei Annahme der Initiative aus der Verantwortung entlassen, sagte Cédric Wermuth (SP/AG). Die Kosten würden alleine auf die Frauen abgewälzt.
Rosmarie Quadranti (BDP/ZH) bezeichnet es als zynisch, dass die Initianten eine Zusatzversicherung für Abtreibungen als Ersatz für die Kostenübernahme propagierten. Welche Frau plane schon eine Abtreibung, fragte sie. «Keine Frau entscheidet sich leichtfertig für eine Abtreibung», hiess es mehrmals.
Die Initiative stammt aus christlich-konservativen Kreisen; SVP-Vertreter stellen die Mehrheit im Initiativkomitee. Allerdings sprachen sich mehrere SVP-Nationalrätinnen und -Nationalräte, auffallend viele aus der Westschweiz, gegen die Initiative aus.
Céline Amaudruz (SVP/GE) kritisierte beispielsweise, dass der Text zu Vergewaltigungen «nebulös» bleibe. Ausnahmen vom Verbot der Kosten-Übernahme seien zwar vorgesehen, allerdings nur vage definiert.