Der Start zur zweiten Hälfte beginnt zuhause – der Weg führt durch sehr bekanntes Gebiet, was noch gar keine richtige Fernwanderstimmung aufkommen lässt.
Der Regen von gestern hat sich verzogen. Das Haus ist still, offenbar haben alle irgendwo auswärts übernachtet. Ich schreibe Grüsse auf einen Zettel, lege ihn auf den Küchentisch, schnalle den Rucksack an und gehe hinunter zur Birs. Der Birs entlang und dem Rhein zu. Hoffentlich kommt kein Bekannter entgegen, denke ich. Der würde denken, ich hätte einen Schuss in der Schüssel – mit diesem Rucksack am eigenen Dorf entlang zu spazieren, am Kraftwerk vorbei, durch den Hafen. Träge kommt der Rhein entgegen.
In Kaiseraugst schauen Touristen die römischen Ruinen an, durchschreiten die Tempelgelände, wo zum Teil Weizen wächst. Bin ja schon oft hier durch gegangen. Alles bekannt, alles dennoch etwas fremd und zwar vor allem darum, weil es nun plötzlich Teil dieser Reise geworden ist. Mag mich gar nicht so recht auf die Landschaft konzentrieren, zu sehr beschäftigt mich noch all das, was ich in den letzten Tagen intensiv erlebt habe.
Gotthard oder nicht?
Erst beim Anstieg durch den Wald bei Giebenach zum Schleifenberg hin wurde mir dann so richtig bewusst, dass ich auf dem Weg nach Sizilien war. Nasse Waldwege, alle säuberlich markiert. Sass mal nieder und dachte nach: Der Weg nach Italien führt von hier aus üblicherweise über den Gotthard. Also irgendwie über den Hauenstein, durchs Mittelland und via Luzern. Hat man ja in der Schule so gelernt. Ich müsste jetzt ins Ergolztal hinunter.
Dann stand ich auf: Direkter Weg hin oder her – jener über Zürich lag mir näher. Gotthard hin, direkte Strecke her. In Zürich, auf dem Umweg sozusagen, wohnt Moni.
Eine Karte erübrigt sich hier. Was für ein Luxus eigentlich: Die Schweiz hat ein Wanderweggesetz, alle Gemeinden sind verpflichtet, die Waldwege zu markieren, alle paar hundert Meter steht ein neuer Wegweiser, und so geht man dahin ohne Sorge, sich zu verlaufen.
Bergan fiel mir auf, dass ich seit langem nicht mehr so grosse Höhenunterschiede überwunden hatte. Körperlich kein Problem mehr nach all diesen Wochen, aber noch lief es harzig. War es, frage ich mich, eine gute Idee, die Halbzeit zu Hause zu verbringen? Eigentlich, so dachte ich beim Hinansteigen, ist so vieles, was ich einmal geplant und mir irgendwie vorgestellt hatte, so ganz anders herausgekommen. Lohnt sich Planen, langfristiges Planen?
Biber und Chips
Etwas wirr! Das sind halt so Gedanken beim Losziehen. Familien spazierten an mir vorbei, sprachen meinen Dialekt. Verdreckte Biker kreuzten meinen Weg. Die Turmwirtschaft auf dem Schleifenberg war gut besetzt, ich ass Speck und ärgerte mich, dass sogar in dieser abgelegenen Waldbeiz Appenzeller Biber zum Kaffee serviert werden wie in jeder Dorfknelle im ganzen Land. Neben Kägi-Fretts und Zweifel Chips. In einem roten, manchmal schwarzen Plastikkörbchen. Es ist mehr als ein Clichée, es ist eine gastronomische Unkultur in diesem Land, steht die Beiz nun neben dem Aussichtsturm auf dem Schleifenberg oder in Tschappina.
Ich nahm eine Flasche Liestaler Wein mit auf den Weg, zog durch Regenlandschaften und an fast reifem Getreide vorbei auf die Grimstenlücke, an Hersberg, Nusshof vorbei, den steilen Hang zur Sissacherfluh hinauf, alles Wege, die ich schon viele Male gegangen bin, deren einzige Überraschung ist, dass sie plötzlich auf der Strecke Schottland – Sizilien liegen.
Im Restaurant auf der Sissacherfluh schloss der Wirt eben ab. Ein Bier gab es nicht mehr, aber er füllte mir die Wasserflaschen, schenkte mir eine mit Wasser gefüllte Rivella-Flasche, was doch schon auch ein Zeichen von Gastfreundschaft ist. Ich erzählte ihm ein bisschen von meiner Reise, was ihn wohl seltsam dünkte. Dass da einer in Baselbieter-Dialekt von Schottland – Sizilien redete. Ich denke, er glaubte mir kein Wort und hielt mich für einen Aufschneider.
Der Wind blies stark, weit zog es mich nicht mehr. Bis zur Isletenhütte, die ich zwar auch schon gesehen habe, von der ich aber nicht mehr wusste, ob sie ein Vordach hatte. Sie hatte eines. Stapelte ein Riesenfeuer zusammen, briet eine Wurst, trank den Wein und hörte den Mardern zu, die im Dach rumorten. Ein stürmischer Abend, ein Abend immerhin im Trockenen, ohne Zelt, ohne Wirt.
(Isletenhütte, 14. Juli 2002)