Neue Schweizer Filme sorgen für Überraschung

Noch ist Zürich ein Filmfestival unter vielen in der Schweiz. Hat es das Zeug zu einem unverzichtbaren Schaufenster für den Schweizer Film zu werden? Noch ist Zürich ein Filmfestival unter vielen in der Schweiz. Das Leitungsteam bemüht sich aber, dem Festival immer mehr Kontur zu verleihen. Eines interessiert die einheimische Industrie am meisten: Hat Zürich […]

Mia im «Traumland».

Noch ist Zürich ein Filmfestival unter vielen in der Schweiz. Hat es das Zeug zu einem unverzichtbaren Schaufenster für den Schweizer Film zu werden?

Noch ist Zürich ein Filmfestival unter vielen in der Schweiz. Das Leitungsteam bemüht sich aber, dem Festival immer mehr Kontur zu verleihen. Eines interessiert die einheimische Industrie am meisten: Hat Zürich das Zeug zu einem Schaufenster für den Schweizer Film zu werden?

Immerhin konnte das Filmfestival Zürich in diesem Jahr einige Weltpremieren präsentieren. So auch «Die schwarzen Brüder» des Schweizer Oscar-Preisträgers Xavier Koller. Der Regisseur verschaffte damit auch der neu eingeführte Reihe «Für Kinder» Beachtung.

Bereits in Quebec war ein verstörendes Bild aus der Westschweiz aufgefallen:  «Left Foot Right Foot» von Germinal Roauxist eine kunstvolle Schwarz-Weiss-Malerei. Präzises Schauspiel im Schweizer Hinterland. 

Ebenso ein Glanzlicht versprach Eric Bergkraut, einer der spannendsten Schweizer Dokumentarfilmer, der sein schon im Vorfeld schillerndes Projekt «Service inbegriffen» zeigt. Auch Markus Imbodens «Am Hang» lässt solide Schweizer Qualität erwarten. Für Überraschungen musste aber auch Platz sein, und sie kommt aus der europäischen Heimatstadt der Secondos: Die Schweizer-Italienerin Petra Volpe verblüfft mit ihrem packenden Zürich-Film «Traumland» (Sie finden mehr über die Filme und die Trailer dazu im «Lichtspiele-Blog»).

«Traumland»: ein Film über verlorene Nähe

Im «Traumland» der italienisch-schweizerischen Regisseurin Petra Volpe laufen die letzten Vorbereitungen für das Weihnachtsfest. Die serbische Prostituierte Mia taucht in den Familien-Epsioden vorerst nur am Rande des Bildes auf. Doch je mehr wir im «Traumland» über einzelne Figuren erfahren, desto mehr rückt Mia in die Mitte des Films. Die Einsamen verbindet ein Netz: Doch das entscheidende dieses Netzes sind nicht die Verbindungen, sondern die Grösse der Löcher, durch die man fällt.

Volpe seziert für eine Bestandsaufnahme von Neigungen und Zuneigungen vier ganz normale Paare und Familien. Sie braucht dazu keine lang erklärenden Dialoge. Sie führt ein tolles Schauspiel-Ensemble dazu, uns die Geschichten eindringlich zu machen.

Was Bettina Stucki, Stefan Kurt, Marisa Peredes, André Jung, Luna Mijovi u.a. von den Schauplätzen Zürich und Berlin zeigen, ist ein Grosstadtblick auf die Randzonen; auf die Dreckecken dieser Stadt wie auf ihre erbarmungslose Schönheit: Wunderschön das frühmorgendlich gefrorene Zürich am Schluss. Draussen, auf einer gefrorenen Bank, sitzt eine Prostituierte, die von dieser Stadt eben ausgespuckt wurde. Ein gespenstischer Windhauch im Schneestaub lässt uns ahnen, dass diese junge Frau nie mehr zu ihrem Kind in die Heimat fahren wird.

Das raue Poesie-Album «Service Inbegriffen»

Zürich lockt jedes Jahr mehr einheimische Filmschaffende zur Präsentation ihrer Filme. Dabei ist auch das starke Schweizer Dokumentarfilmschaffen vertreten, so der Film «Service Inbegriffen» von Eric Bergkraut.

Das Stammtisch-Niveau wird von Politikern gerne herbeizitiert, wenn es darum geht, sein eigenes Niveau als Höherstehendes festzulegen. Aber wie hoch sind eigentlich Stammtische in der Schweiz? Eric Bergkraut geht der Frage in einer wunderbar stillen Bilderreise durchs Land nach. Seine Idee ist so einfach wie genial: Wir ziehen von Stammtisch zu Stammtisch und treffen jene Menschen, die an den Tischen sitzen bleiben. Jeder der Orte hat seine eigene Poesie.

Bergkrauts Gesichter und Geschichten aus der Schweiz

Niemand sollte sich das entgehen lassen, wenn Marlies Schoch über Zürcher und Afrikaner nachdenkt. Wenn zum Beispiel der afrikanische Zürcherbueb vor dem Hasenkäfig über Heimkinder nachdenkt. «Es isch en huereschüüche Haas. Isch halt eso.»

Selbst, wer eine poetische Theorie des Lebens sucht, wird sie finden. Der alte Scherenschleifer formuliert sie: «Um alt zu werden, braucht es Glück. Jung zu bleiben ist hingegen eine Kunst. Die muss man im richtigen Augenblick anwenden. Sonst bewirkt sie das Gegenteil.» Da wünschen wir uns, unsere Politiker hätten immer dieses Niveau!

«Die schwarzen Brüder» von Xavier Koller

«Die schwarzen Brüder» von Xavier Koller

Der Preisgekrönte: «Die schwarzen Brüder»

Neu ist in diesem Jahr in Zürich auch die Reihe «Für Kinder», eine Sparte, die international immer angesehener ist. Da es hierfür auch einen besonderen Preis gibt, findet Xavier Kollers «Die schwarzen Brüder» gleich eine gute Heimat – und brilliert.

Xavier Koller ist der bewährte Teamplayer. Er hat Lisa Tetzner Kinderbuch herzhaft frech und beeindruckend (es basiert auf der Chronik «Kleine Schweizer Sklaven») zu einem Klassiker gemacht: Koller übersetzt die Dialoge in erzählstarke Bilder. Wenn da ganz früh eine Träne über die Wange des verkauften Kindes rinnt, dann ergiesst sie sich im nächsten Schnitt in die reissenden Verzasca: Da wartet bereits das Tal der Tränen, das den verkauften Kindern in Mailand bevorsteht.

Spielfreudiger Nachwuchs zu Hauf

Seine eigentliche Stärke zeigt Koller im Einsatz der jungen Talente. Er hat sein Lausbuben-Team so passioniert in Schwung gehalten, dass sie auch als heutige Bauernlümmel ganz glaubhaft wirken. Damit öffnet Koller wieder einmal einen Blick in die Schweizer Geschichte. Fast hätten wir vergessen, dass es noch nicht lange her ist, dass auch die Schweiz zu den Armenhäusern Europas gehörte.

Henry Hübchen, «Am Hang»

Henry Hübchen, «Am Hang».

Markus Imboden lädt zu literarischer Lesung

In Zürich ist auch zu sehen, dass die Produzenten neben der Nähe des Schweizer Fernsehens immer häufiger die Nähe deutscher Geldgeber suchen. Markus Imboden, der mit seinem letzten Film «Verdingbueb» einen grossen Publikumserfolg landete, verbindet seine Erfolge in Deutschland mit jenen in der Schweiz. Nun zeigt er in Zürich seinen neuen Film «Am Hang».

Der Roman von Markus Werner ist in Dialogen geschrieben. Die Versuchung ist also gross, die Dialoge dem Drehbuch einzuverleiben. Doch das ist ein erster Irrtum des Films: Im Roman sind die Dialoge mehr eine Art philosophischer Diskurs mit psychologischer Raffinesse. Im Mund von Filmfiguren werden sie zu papierenen Worthülsen.

Die Bilder, die Markus Imboden erfindet und mit wunderbaren SchauspielerInnen füllt, führen uns nur wenig über den papierenen Dialog hinaus in die zwei unterschiedlichen Welten der Liebe. Die Schauspieler sind grossartig. Die Bilder brav: «Am Hang» ist ein Fernsehspiel geworden. Immerhin ein gutes.

Left Foot Right Foot

Fiction, 105 min.
Coproduction with Swiss director

 
 
 
 

by Germinal Roaux

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