Der Welthandel wächst langsamer als erwartet, die Verhandlungen über eine Liberalisierung stecken in der Sackgasse. Ein Neustart sei nötig, sagt der neue Chef der WTO. In Bali soll er gelingen.
Der neue Generaldirektor der Welthandelsorganisation (WTO) warnte vor einem Scheitern der multilateralen Gespräche um die Liberalisierung des globalen Handels.
Bei der im Dezember anstehenden Welthandelskonferenz auf Bali müsse es einen Neustart der Verhandlungen geben, forderte Roberto Azevêdo am Montag in Genf. Am meisten würden sonst die kleineren und entsprechend verletzlichen Volkswirtschaften leiden, sagte der Handelsdiplomat bei der ersten Sitzung des WTO-Generalrates mit ihm an der Spitze der Organisation.
Prognose zurückgestutzt
Der Welthandel werde 2013 langsamer wachsen als erwartet, warnte Azevêdo. Die WTO rechne inzwischen mit 2,5 Prozent statt der von ihr zunächst vorausgesagten 3,3 Prozent. 2014 erwarte man dann ein Wachstum von 4,5 Prozent – bislang wurden 5 Prozent angenommen.
Der Grund sei vor allem, dass sich die Wirtschaft in der Europäischen Union langsamer als zunächst angenommen von der Krise erhole.
Umso wichtiger sei es, allen Versuchungen des Protektionismus zu widerstehen und den multilateralen Weg zu einer globalen Handelsliberalisierung weiterzugehen. Gelingen könne dies nur durch intensive Verhandlungen im Rahmen der Welthandelsorganisation, forderte Azevêdo: «Die WTO muss beweisen, dass sie in der Lage ist, multilaterale Handelsvereinbarungen zu ermöglichen.»
Hoffen auf Bali
Ein Erfolg der nächsten Welthandelskonferenz sei besonders wichtig. Andernfalls könne es Entscheidungen für einzelne Abkommen geben, die weniger effektiv und umfassend wären als das von der WTO und den meisten ihrer 159 Mitgliedstaaten anvisierte System eines liberalisierten Welthandels. «Die Welt wird nicht ewig auf die WTO warten», mahnte Azevêdo.
Für die Konferenz der Handels- und Wirtschaftsminister auf der indonesischen Insel Bali bereitet die WTO derzeit ein neues Abkommen vor. Es soll Handelstransaktionen vereinfachen («Trade Facilitation Agreement»).
Damit sollen verbindliche multilaterale Vereinbarungen auf einigen Teilgebieten des Doha-Prozesses – darunter bei grenzüberschreitenden Zöllen sowie im Agrarbereich – getroffen werden.
Bislang galt für den 2001 in Doha vereinbarten Verhandlungsprozess, dass alle Einzelfragen gelöst werden müssen, ehe ein Gesamtabkommen über einen liberalisierten Welthandel in Kraft treten kann.
Diese «Pattsituation» muss laut Azevêdo überwunden werden. «Ein Erfolg in Bali würde grosse Vorteile mit sich bringen, das Leben vieler Menschen verbessern, besonders der Ärmsten unter uns, und den Handel zu einem für die Weltwirtschaft kritischen Zeitpunkt ankurbeln.»
Der alle Einzelfragen des Welthandels umfassende Doha-Verhandlungsprozess könne dann mit grösseren Erfolgschancen fortgesetzt werden. «Bali ersetzt Doha nicht, es wird Teil davon.»
Azevêdo war im Mai im Konsens aller WTO-Mitgliedstaaten als erster Südamerikaner zum Generaldirektor der Organisation bestimmt worden. Er trat am 1. September die Nachfolge des Franzosen Pascal Lamy (66) an, der die WTO seit 2005 geführt hatte.