Heftiger Dauerregen und Probleme bei der Versorgung mit Hilfsgütern haben das Leid von Hunderttausenden Taifun-Überlebenden auf den Philippinen vergrössert. Ein neues Sturmtief setzte Teile des Katastrophengebietes unter Wasser. Die Opferzahl stieg offiziell auf 1798.
Trümmerberge behinderten den Abfluss des Wassers. Viele Menschen, die seit Tagen nur unter notdürftig zusammengebauten Dachresten oder Plastikplanen leben, standen in der verwüsteten Stadt Tacloban teils knietief in einer durch Fäkalien, Kadaver und Müll verseuchten stinkenden Brühe.
Immer noch erreicht viele Menschen die Hilfe nicht. Überall haben verzweifelte Überlebende Hilferufe an Container und Hauswände gemalt: «Wir brauchen Essen!» «Rettet uns!» «Hilfe!» steht darauf. Kinder stehen weinend und bettelnd am Strassenrand, wie Helfer berichten, die im Notstandsgebiet unterwegs sind.
«Die Probleme sind immens, das Gebiet ist riesig, aber wir tun alles Menschenmögliche», versicherte Innenminister Mar Roxas. Die Regierung habe versichert, dass Helfer bis Mittwoch auch die abgelegensten Regionen erreichen würden, sagte die UNO-Nothilfekoordinatorin Valerie Amos.
Am Dienstag überfielen kommunistische Rebellen in der Stadt Matnong einen Hilfskonvoi. Soldaten, die den Konvoi begleiteten, töteten zwei Angreifer.
Präsident rechnet mit 2000 bis 2500 Toten
Die offizielle Zahl der Toten hat sich auf 1798 erhöht. Dies teilte die philippinische Katastrophenschutzbehörde NDRRMC am späten Dienstagabend (Ortszeit) mit. Die meisten Opfer – 1298 Tote – kommen aus der besonders betroffenen Provinz Leyte, gefolgt von der Nachbarprovinz Samar mit etwa 200 Toten.
Die genaue Zahl der Opfer durch den gewaltigsten Taifun, der je an Land kam, ist aber weiterhin unklar. Der philippinische Präsident Benigno Aquino sagte im Fernsehsender CNN, er rechne mit 2000 bis 2500 Toten. Schätzungen, bei denen von 10’000 Opfern ausgegangen wurde, nannte er «zu hoch».
Der Bürgermeister von Tacloban, Alfred Romualdez, sagte, bis Dienstagmorgen seien 250 Leichen geborgen worden. Viele weitere würden unter den Schuttbergen vermutet.
Auf der Insel Samar, wo der Taifun «Haiyan» am Freitag über die Küste hereinbrach, seien mehr als 500 Menschen in Massengräbern beigesetzt worden, sagte Gouverneurin Sharee Ann Tan. 2000 Menschen würden vermisst.
In Tacloban sind alle Geschäfte, in denen Lebensmittel vermutet wurden, geplündert, wie Lokalsender berichten. In ihrer Verzweiflung sind Leute auf selbst gebauten Flössen vor der Küste unterwegs und versuchen, mit blosser Hand Fisch zu fangen. Zwei Männer haben ein Schwein geschlachtet und tragen es im strömenden Regen an einer Stange durch Tacloban.
Hoffnung, ausgeflogen zu werden
Im strömenden Regen belagern Verzweifelte mit behinderten Angehörigen und kranken Babys den Flughafen und hoffen, ausgeflogen zu werden. Die Plätze in den Maschinen reichen bei weitem nicht. Soldaten halten sie davon ab, das Rollfeld zu stürmen.
Ein Team des Senders ABS-CBN erreichte die fast völlig zerstörten Ortschaften Dulag, Tolosa und Palo gut 20 Kilometer südlich von Tacloban. Sie haben seit dem Durchzug des verheerenden Taifuns «Haiyan» am Freitag noch keine Hilfe bekommen. Auf einer Verkehrsinsel zwischen den Fahrspuren der Hauptstrasse seien dort zahlreiche Tote notdürftig begraben worden, berichteten die Reporter.
«Die gute Nachricht ist, dass der Mobilfunk wieder funktioniert», sagte Innenminister Roxas. Auf Strom werden die Menschen noch mindestens zwei Monate warten müssen. Weil auch Tankstellen zerstört wurden, wurde der Benzinverkauf auf der Insel Leyte rationiert, bis Nachschub kommt.
Hilfe aus aller Welt
Aus aller Welt traf Hilfe auf den Philippinen ein. In Manila sortieren 2000 Freiwillige Tag und Nacht Essenspakete: Das Problem ist nach wie vor, diese zu den Bedürftigen zu bringen.
Die UNO erliess am Dienstag einen Spendenaufruf an ihre 193 Mitgliedsländer in Höhe von 301 Millionen US-Dollar. Die Europäische Union stockte ihre Sofortspende von drei Millionen Euro um zehn Millionen Euro auf.
In der Nacht zum Dienstag startete der US-Flugzeugträger «USS George Washington» aus Hongkong «mit Volldampf» in Richtung Philippinen, wie ein Pentagon-Sprecher in Washington sagte. Er hat 5000 Marinesoldaten und mehr als 80 Flugzeuge und Helikopter an Bord. Die US-Regierung spendete 20 Millionen Dollar.
Auch Grossbritannien entsandte ein Schiff, ein Transportflugzeug, Ärzte und Sanitäter. London hat bisher 10 Millionen Pfund (14,7 Mio. Franken) Unterstützung zugesagt.
In der Schweiz führen die Glückskette und die SRG am nächsten Montag, 18. November, einen nationalen Sammeltag durch. Zwölf Schweizer Hilfswerke sind derzeit auf den Philippinen im Einsatz. Vor Ort stehen zudem 18 Experten des Schweizer Korps für humanitäre Hilfe (SKH).
Neues Sturmtief nicht so heftig
Der Wetterdienst stufte das Sturmtief «Zoraida», das sich vor der Ostküste zusammengebraut hatte, am Dienstag herab. Das heisst, die Winde sollten nicht so heftig werden wie befürchtet. Regen bringt das Tief trotzdem.