«No Man’s Sky» lüpft ein No-Name-Studio auf den Spiele-Olymp

Hinter dem Game «No Man’s Sky» steht ein klitzekleines Studio aus England. Dank Sony könnte der Hype darum nicht grösser sein. Doch wieso setzt sich ein grosses Studio für ein kleines ein? Und taugt das Spiel was? Soeben ist «No Man’s Sky» erschienen. Die Werbekampagne ist gewaltig und der Hype könnte nicht grösser sein. Sony […]

Alle Welten in «No Man's Sky» können erforscht werden – es sind 18 Trillionen.

Hinter dem Game «No Man’s Sky» steht ein klitzekleines Studio aus England. Dank Sony könnte der Hype darum nicht grösser sein. Doch wieso setzt sich ein grosses Studio für ein kleines ein? Und taugt das Spiel was?

Soeben ist «No Man’s Sky» erschienen. Die Werbekampagne ist gewaltig und der Hype könnte nicht grösser sein. Sony rührt mit der grossen Kelle an – dabei steht hinter dem Spiel ein klitzekleines Studio aus England, welches bisher bloss mit einem Indie-Hit Furore gemacht hat. Was ist passiert? Was ist überhaupt ein Indie-Spiel? Und wie gut ist das Game überhaupt?

Das Label Independent

Der Begriff «Indie» stammt aus der Musikwelt. Dort steht «Indie» für ein nicht von einem der grossen Studios veröffentlichtes musikalisches Werk. Bei Spielen ist die Situation etwas komplexer: Diverse als «Indie»-Games bezeichnete Titel wurden von grossen Publishern mitfinanziert. Eines der zentralsten Elemente zur Identifizierung ist darum die «gedankliche Unabhängigkeit»: Ein «Indie»-Studio entwickelt seine Spiele losgelöst von allfälligen Drittinteressen.

Blicken wir kurz zurück.

In den Anfängen des Computerzeitalters war es gang und gäbe, Spiele zunächst als «Shareware» zu veröffentlichen. Dabei wurde das Spiel kostenlos zur Verfügung gestellt, anders als bei Demos war der Titel von Anfang bis Ende komplett spielbar. Später veröffentlichte Zusatzinhalte waren dann kostenpflichtig. Einige Klassiker der Spielgeschichte wie «Doom» wurden auf diesem Weg berühmt. Das Shareware-Distributionsmodell legte den Grundstein für unabhängige Spielentwickler, da es eine rasche Verbreitung ohne grosse Marketing-Budgets ermöglichte.

Als Meilenstein der «Indie»-Szene gilt heute «Cave Story». 2004 veröffentlichte der japanische Programmierer Daisuke «Pixel» Amaya auf dem PC ein 2D-Plattform-Spiel, welches innert kürzester Zeit übers Internet zum Kulthit wurde. Nintendo griff den Titel schliesslich auf und veröffentlichte ihn auf der Wii und dem Nintendo DS. Der Erfolg beflügelte Entwickler rund um den Globus und liess die Szene wachsen.




«Cave Story», der Anfang. (Bild: ©Studio Pixel)

Parallel dazu entwickelte der Spielentwickler Valve eine Plattform, die dem jungen Pflänzchen der Indie-Spiele einen Turbo-Boost verpasste: Steam. Steam ist nichts anderes als eine Verkaufsplattform für PC-Spiele. Allerdings kauft man auf Steam nicht die sogenannte Retail-Version, die aus einer physischen Kopie (Disc), Handbuch und Schachtel besteht, sondern eine rein digitale. Entsprechend sind die Preise tiefer. Auf Steam sind aber nicht nur die ganz grossen Titel wie «Fifa», «Call of Duty» und Co. erhältlich, sondern eben auch Independent-Titel für wenig Geld. Das Angebot auf Steam umfasst heute etwa 7500 Titel.

Mit dem Erfolg von «Cave Story» und Steam war der Aufstieg der Szene nicht mehr zu bremsen. Die Konsolenhersteller sprangen auf den Zug auf und begannen ihre Kanäle PlayStation Network, XBOX LIVE und WiiWare für Indie-Entwickler zu öffnen. Der Weg für Erfolgsgeschichten wie Jonathan Blows «Braid» oder «World of Goo» war geebnet. Doch der Höhepunkt folgte 2009: Dann veröffentlichte der schwedische Programmierer Markus «Notch» Persson sein kleines «Projekt» «Minecraft». 2014 verkaufte er sein Studio für 2,5 Milliarden Dollar an Microsoft.

Märchen wie jenes von Persson führten dazu, dass den «Randgruppen»-Spielen immer grössere Bedeutung beigemessen wurde. Und genau diese Entwicklung ist nun in «No Man’s Sky» kulminiert: Dass Sony ein Spiel eines kleinen Entwicklerstudios aus Guildford (GB) zu einem der wichtigsten Titel seiner Plattform erklärt, hätte sich vor 10 Jahren niemand träumen lassen.

Das Phänomen «No Man’s Sky»

Seit seiner Ankündigung 2014 wurde das Spiel mit Vorschusslorbeeren überschüttet wie kaum ein anderer Titel zuvor. Die Entwickler hatten mit ihren «Joe Danger»-Spielen auf sich aufmerksam gemacht, witzige und originelle Plattform-Spiele, welche auf verschiedenen Plattformen respektable Erfolge feierten. «No Man’s Sky» sollte aber in einer ganz anderen Liga spielen und sollte das grösste Spiel aller Zeiten werden.

Eine computergenerierte Spielwelt mit 18 Trillionen Planeten versprachen die Macher – und was kaum jemand für möglich gehalten hatte: Sie lieferten. Über den Spielinhalt war bis zum Launch des Spiels kaum etwas durchgesickert, und so brach ich nach Erhalt des Rezensionsexemplars gespannt auf eine Reise durch unzählige Galaxien auf. 

Ein Erlebnisbericht:

Ich befinde mich auf einem unbekannten Planeten, mein Raumschiff ist defekt. Eine elektronische Stimme erklärt mir, was ich tun muss, um es zu reparieren. Rohstoffe wollen eingesammelt werden, dann müssen einzelne Bauteile wieder zum Laufen gebracht werden. Nachdem ich auf dem unwirtlichen Planeten etwas herumgeirrt bin, finde ich schliesslich alles Nötige. Mein Raumschiff springt an und bringt mich durch die Atmosphäre. Ein wahrlich erhabenes Gefühl, auf einmal die Weiten des Weltalls vor mir zu sehen…

Doch die Stimme weist mich an weiterzureisen. Mein Ziel sei das Zentrum der Galaxie. Also breche ich auf. Ich fliege zu einer Raumstation und treffe dort auf ein Alien. Es scheint nicht gut gelaunt, aber ich verstehe kein Wort seiner Sprache. Nachdem ich ihm einen Gegenstand geschenkt habe, erlerne ich ein Wort seiner Sprache Gek. Es brabbelt irgendwas zurück und ich verstehe nach wie vor Bahnhof. Es wird wohl noch eine Weile dauern, bis eine Konversation möglich ist. Dafür tausche ich wertvolle Materialien an einem Terminal und kann meinen Antrieb verbessern.

Mit neuem Schub erforsche ich einen neuen Planeten, der von dinosaurierähnlichen Wesen bewohnt wird. Aus Neugierde beschiesse ich die Viecher mit meinem Multiwerkzeug. Sie wehren sich nicht, aber kurz darauf fliegen mir alarmierte Drohnen um die Ohren, die mich ruckzuck mit Lasern beschiessen. Anscheinend gibts in dieser Galaxie strenge Vorschriften zum Schutz der Flora und Fauna. Ich erscheine wieder auf dem Planeten und kann mein eigenes Grab besichtigen. Sehr makaber. Von morbiden Gedanken beseelt, verlasse ich den Planeten und fliege weiter. 

Auf meiner Reise treffe ich weitere Alien-Rassen und immer wieder auf mysteriöse Monolithen (eine ziemlich plumpe Referenz an «2001: A Space Odyssey»). Mit Warp-Antrieb ausgestattet, meistere ich mittlerweile auch grosse Distanzen ziemlich flott. Doch mein Ziel, das geheimnisvolle Zentrum der Galaxie, ist noch weit entfernt. Ob ich es je erreichen werde?

Ein Spiel? Eine Simulation? Eine Philosophie-Lektion?

«No Man’s Sky» kann mit gängigen Genres kaum erklärt werden. Es einfach als Science-Fiction-Spiel abzutun, wird ihm bei Weitem nicht gerecht. Es ist schlicht eine einzigartige Erfahrung. Was das kleine Programmierer-Team von Hello Games hier abgeliefert hat, ist unglaublich. Die schier unvorstellbare Grösse, die phantasievollen, computererschaffenen Welten und Wesen – eine Meisterleistung. Der eigentliche Spielinhalt: das Erforschen von Planeten und die Reise zum Mittelpunkt der Erd… eh… Galaxie sind eigentlich eher monoton und repetitiv. Fast alle Aufgaben laufen nach dem Schema «Suche Material A, baue es zu B um, fliege nach C» ab. 

Lässt man sich aber auf das Ganze ein, setzt auf einmal eine beinahe meditative Komponente ein. Man beginnt, sich existenzielle Fragen zu stellen. Ist «No Man’s Sky» vielleicht tatsächlich eine Simulation des Universums? Wäre es wirklich so, wenn man alleine durchs Weltall reist? Ist das alles?




Dinosaurier? Oder nur was Ähnliches? (Bild: ©Hello Games)

Ein grosser Teil der Planeten, die man entdeckt (und auch benennen darf), sind trostlos und karg. Weltraumreisen dauern verdammt lange. Nur ganz selten trifft man auf andere Spieler, kann aber nicht mit ihnen interagieren. Auch die Aliens, denen man begegnet, sind eher teilnahmslos. Nur die Aufpasser-Drohnen verbreiten eine aggressive Grundstimmung.

Ist so also unser Universum? Ein einsamer, fast leerer Raum, hauptsächlich bestehend aus Rohmaterialien und lebensfeindlichen Atmosphären? Die Wissenschaft sagt das schon immer. Doch wenn man es eben selbst erleben kann, schlägt das jede Astronomie-Vorlesung bei Weitem. 

Ich habe bereits über 30 Stunden mit «No Man’s Sky» verbracht und bin sicher, es werden noch viele mehr. Die Spielwelt hat mich in ihren Bann gezogen – wenn ich schon nicht zu Elon Musks ersten SpaceX-Kunden gehöre – hier darf ich das Weltall erforschen, und zwar so, wie es Menschen nie können werden. «No Man’s Sky» ist ein fantastisches Experiment und Sony gebührt grösster Respekt, dass ein derart anspruchsvoller Titel zu einem der Highlights des Jahres erkoren wurde.

Die Indie-Szene gedeiht damit prächtig und mit «No Man’s Sky» wurde ihr das gewaltigste Denkmal gesetzt, das man sich vorstellen kann. Genau genommen sind es 18 Trillionen Denkmäler.

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