Begleitet von dramatischen Szenen hat ein Moskauer Gericht den Prozess gegen die Kreml-kritische Band Pussy Riot fortgesetzt. Notärzte mussten die drei Frauen am Mittwoch untersuchen, nachdem sie über schweres Unwohlsein geklagt hatten. Die Musikerinnen bezeichneten die Strapazen des Prozesses erneut als «Folter».
Ihnen drohen nach einem «Protestgebet» gegen Kreml-Chef Wladimir Putin in der wichtigsten orthodoxen Kirche Russlands sieben Jahre Straflager wegen Rowdytum aus religiösem Hass. Die Verhandlung, die auf diesen Donnerstag vertagt wurde, spaltet unterdessen die russische Gesellschaft weiter.
«Je länger der Prozess dauert, umso mehr wird er international zum Symbol für Justizwillkür in Russland», schrieb Waleri Fedotow von der Regierungspartei Geeintes Russland in einem Internetblog. Er wolle zeigen, dass nicht alle in der Partei «mittelalterliche Fanatiker sind», betonte der Politiker aus Putins Heimatstadt St. Petersburg.
Der Geistliche Andrej Kurajew sagte, auch in Kirchenkreisen gehe die Vermutung um, der Prozess sei von Putins Umfeld gesteuert. Beweise gebe es aber nicht, unterstrich er nach Angaben der Agentur Interfax.
Aus Deutschland kam ebenfalls Kritik. «Die jungen Frauen sind unverhältnismässigen Bedingungen ausgesetzt», teilte die Abgeordnete Erika Steinbach (CDU) in Berlin mit. «Das Vorgehen der russischen Justiz nährt die Vermutung, dass die Verfolgung der Opposition ausschliesslich politisch motiviert ist.» Dazu passe die Anklage gegen den bekannten Blogger Alexej Nawalny, betonte Steinbach.
Auch Blogger Nawalny droht Gefängnis
Dem Oppositionsführer drohen zehn Jahre Haft wegen angeblicher Veruntreuung. Ein Gericht bekräftigte am Mittwoch ein Reiseverbot gegen Nawalny, der mit seiner Familie in Urlaub fahren wollte.
Die angeklagten Pussy-Riot-Mitglieder Nadeschda Tolokonnikowa, Maria Aljochina und Jekaterina Samuzewitsch waren von den Notärzten für verhandlungsfähig erklärt worden. Sie hätten kaum geschlafen, wenig gegessen und an den ersten Verhandlungstagen zwölf Stunden in einem Glaskäfig ausharren müssen, kritisierten die Frauen.
Die Verteidigung warf der Staatsanwaltschaft eine «gefälschte Anklage» vor. Einige Nebenkläger seien mit völlig identischen Aussagen zitiert, «bis hin zum gleichen Druckfehler», sagte ein Verteidiger.
Richterin Marina Syrowa wies aber erneut einen Befangenheitsantrag gegen sich ab. Zudem räumte sie der Verteidigung nicht mehr Zeit zum Studium der 3000 Seiten umfassenden Anklage ein.
Die drei Frauen im Alter zwischen 22 und 29 Jahren, von denen zwei kleine Kinder haben, sitzen seit etwa fünf Monaten in Untersuchungshaft. Erst kürzlich wurde diese bis Januar 2013 verlängert.
Proteststimmung in der Bevölkerung verstärkt
Gut acht Monate nach dem Beginn von Grossdemonstrationen gegen den russischen Präsidenten Wladimir Putin ist die Proteststimmung in der Bevölkerung deutlich gestiegen. Wie aus einer am Mittwoch veröffentlichten Umfrage des unabhängigen Lewada-Zentrums in Moskau hervorging, unterstützen 42 Prozent der Russen die Protestaktionen gegen Putin.
Demnach lag die Unterstützung im März noch bei 32 Prozent, zu Beginn der Proteste im Dezember 2011 lag sie bei 44 Prozent. Die Bereitschaft zur aktiven Teilnahme an Demonstrationen stieg auf 19 Prozent, den Höchststand seit Dezember.
Die Mehrheit der Russen geht überdies davon aus, dass das Vorgehen der Staatsmacht gegen Oppositionelle weitergehen wird. 22 Prozent erwarten demnach eine Verschärfung der Massnahmen, 37 Prozent rechnen mit einer unveränderten Fortsetzung.