Nach dem Nein zur Atomausstiegsinitiative sehen die Grünen den Weg für die Energiestrategie 2050 geebnet. Für FDP-Präsidentin Petra Gössi ist das Abstimmungsresultat hingegen noch nicht als Ja zur Energiestrategie 2050 zu werten.
Die Initiantinnen der Atomausstiegsinitiative sprechen trotz dem Nein von einem wichtigen Resultat. Die Energiestrategie 2050 sei als eine Art Gegenvorschlag zur Atomausstiegsinitiative gehandelt worden, sagte die Präsidentin der Grünen, Regula Rytz, gegenüber Radio SRF. Mit dem heutigen Tag sei der Weg für diese geebnet worden.
Gleiches gelte für den Klimaschutz. Die Leute wollten keinen dreckigen Kohlestrom. Dies gelte es jetzt einzuhalten. Die Sicherheitsfrage und die finanzielle Situation der Atomkraftwerke werde weiterhin scharf beobachtet, sagte Rytz. «Wir fahren weiter, damit die Bevölkerung sicher leben kann.»
Auch für den WWF ist klar, dass nach dem Nein zur Atomausstiegsinitiative die Energiestrategie 2050 «durchgezogen werden muss». Das Nein vom Sonntag sein kein Nein zur «Energiewende und Atomausstieg».
Beides sei in der Energiestrategie 2050 enthalten. Darin sei der Atomausstieg bereits aufgegleist, wird Thomas Vellacott, CEO von WWF Schweiz, in einer Mitteilung zitiert. «Der Abstimmungskampf gibt der Energiestrategie 2050 Aufwind.» Sie sei die Zukunft und werde die Schweizer Energieversorgung effizienter und einheimischer machen.
Kein Ja zur Energiestrategie 2050
Nicht einverstanden mit dieser Interpretation des Abstimmungsresultates FDP-Präsidentin Gössi. Sie interpretiert das Resultat nicht als Ja zur Energiestrategie 2050, wie sie auf Anfrage der Nachrichtenagentur sda sagte. Die Debatte vor der Abstimmung «war keine Diskussion zur Energiestrategie». Damit habe sich an der Ausgangssituation für die Strategie nichts geändert.
Die FDP unterstützte im Parlament die erste Etappe der Energiestrategie 2050 nicht geschlossen. Diverse FDP-Exponenten unterstützen denn auch das Referendum der SVP. Eine Verschiebung der Positionen innerhalb der Fraktion hat Gössi aber «bisher nicht wahrgenommen».
Ob die Partei das Referendum politisch mittragen wird, ist noch offen. Die Unterstützung der Unterschriftensammlung lehnte die Parteipräsidenten-Konferenz der Kantonalparteien ab, wie Gössi erklärte. Über den Support des Referendums im Abstimmungskampf werden die Delegierten entscheiden.
In einer ersten Reaktion hatte der Berner FDP-Nationalrat Christian Wasserfallen das Nein zur Atomausstiegsinitiative als Nein zum Atomausstieg interpretiert. «Die Leute wollen nichts von einem Atomausstieg wissen.» Er widersprach am Sonntag dem Argument der Initianten, dass mit dem Abstimmungsresultat der Weg für die Energiestrategie geebnet worden sei.
AKW-Betreiber erleichtert
Die Betreiber der Schweizer AKW zeigten sich am Sonntag erleichtert über den Abstimmungsausgang. Die BKW, die das AKW Mühleberg betreibt, wird ihr geordnetes Stilllegungsprojekt per 2019 «wie geplant weiterführen».
Die Axpo, deren AKW Beznau I und II bei einer Annahme der Initiative im nächsten Jahr hätten abgestellt werden müssen, nimmt das Resultat der Volksabstimmung zur Kenntnis. «Für die sichere Stromversorgung der Schweiz ist das ein sehr guter Entscheid», hiess es auf Anfrage.
Alpiq, die als Aktionärin an den beiden Atomkraftwerken Gösgen (40 Prozent) und Leibstadt (32,4 Prozent) beteiligt ist, begrüsst das Nein aus betriebswirtschaftlicher Sicht. Ein langfristiger Weiterbetrieb sei die am wenigsten schädliche Variante, wie Alpiq auf Anfrage mitteilte.
Wirtschaftsverbände zufrieden
Economiesuisse interpretiert das Nein als Votum für eine sichere Stromversorgung und eine starke inländische Energieproduktion. An diesen Eckwerten müsse sich die Energiepolitik der Schweiz auch zukünftig orientieren, teilte der Wirtschaftsdachverband mit. Ein Umbau der Schweizer Energieversorgung müsse aus Sicht der Wirtschaft flexibel und mit marktwirtschaftlichen Instrumenten angegangen werden. Über seine Haltung zur Energiestrategie 2050 äusserte sich der Verband am Sonntag nicht.
Weder er noch der Schweizerische Gewerbeverband (sgv) unterstützen die Unterschriftensammlung der SVP für ein Referendum. Wie sich die Verbände im Abstimmungskampf positionieren werden, ist offen, aber entscheidend für den Ausgang einer allfälligen Abstimmung.
Auch der sgv freute sich über die «deutliche Abfuhr» für die Initianten der Atomausstiegsinitiative. Das Schweizer Volk habe sich für die «Sicherheit und für die Klimaneutralität des Schweizer Strom-Mix entschieden».
Erfreut zeigte sich GastroSuisse, die das SVP-Referendum gegen die Energiestrategie 2050 unterstützt. «Das Gastgewerbe kann aufatmen, denn die negativen Folgen einer Sofortabschaltung der Kernkraftwerke sind abgewendet», teilte der Verband mit. Auch der Hauseigentümerverband (HEV) ist froh, dass mit dem Nein ein grosser volkswirtschaftlicher Schaden abgewendet wurde, wie er mitteilte.
Für den Direktor des Verbands Schweizerische Elektrizitätsunternehmen, Michael Frank, ist das Nein ein Verdikt für die Energiestrategie, wie er gegenüber Radio SRF sagte. Die Leute wollten Versorgungssicherheit und einen Ausstieg ohne Zeitdruck.
Für den Schweizerischen Baumeisterverband bedeutet das Nein zur Atomausstiegsinitiative ein Ja zu einer «besonnenen Energiepolitik», bei der die Neuausrichtung der Energieversorgung etappenweise erfolgen solle.
Mehr Biss fürs ENSI
Bedauern zum Abstimmungsergebnis äusserte die Allianz für den geordneten Ausstieg aus der Atomenergie. Greenpeace forderte mehr Kompetenzen und ein «angemessenenes Durchgriffsrecht» für das Eidg. Nuklearsicherheitsinspektorat (ENSI). «Während des Abstimmungskampfs wurden mehrfach Sicherheitsmängel in den Uralt-AKW aufgedeckt; gleichzeitig haben die Stromkonzerne Attacken auf die atomare Sicherheitsgesetzgebung vollführt», warnt Christian Engeli.
Die Schweizerische Energie-Stiftung SES hob das breite Bekenntnis zum Klimaschutz hervor, das während des Abstimmungskampfs abgegeben worden sei: «Keine Seite will Atom- oder Kohlestrom importieren. Wir nehmen diese Zusagen ernst und werden die früheren Gegner einer Dreckstromabgabe auf ihre neue Zustimmung verpflichten», sagte Geschäftsleiter Jürg Buri im Hinblick auf die umstrittene zweite Etappe der Energiestrategie 2050.