Der Nationalrat gibt neu allein dem Bund die Kompetenz, Impfungen für obligatorisch zu erklären, wenn wegen einer Epidemie eine aussergewöhnliche Lage droht. Die Kantone dagegen sollen Impfungen nur noch vorschlagen und empfehlen können.
Gemäss dem revidierten Epidemiengesetz soll der Bund in besonderen Lagen Impfungen für Gefährdete sowie Exponierte für obligatorisch erklären können. Möglich wäre das Obligatorium auch für Personen, die bestimmte Arbeiten ausüben, etwa im Pflegewesen. Der Rat hiess diesen Vorschlag mit klarem Mehr, aber etlichen Enthaltungen gut.
Öffentliche Gesundheit kontra Freiheit
Er blieb damit auf der Linie des Bundesrates. „Es gibt einen Anspruch der Bevölkerung, sich in Krisensituationen sicher aufgehoben zu fühlen“, sagte Jürg Stahl (SVP/ZH). In aussergewöhnlichen Lagen müsse die öffentliche Gesundheit höher gewichtet werden als die individuelle Freiheit.
Silvia Schenker (SP/BS) wies darauf hin, dass das Obligatorium zum Schutz der Schwächsten in besonderen Lagen und unter restriktiven Bedingungen angeordnet würde. „Das Gesundheitspersonal muss möglichst lange die Freiheit haben, sich nicht impfen zu lassen.“
Gesundheitsminister Alain Berset betonte, diese Massnahme sei als ultima ratio, als letzter Ausweg, vorgesehen. Im geltenden Recht sei die Bestimmung weiter gefasst, weil es keine Beschränkung auf bestimmte Personen gebe. Ein Obligatorium für Gesundheitspersonal dürfe nicht mit einem Impfzwang gleichgesetzt werden.
Vor allem die Grünen und ein Teil der SVP-Fraktion lehnten ein Impfdiktat durch den Bund ab, wie Sprecherin Yvette Estermann (SVP/LU) es formulierte. Aus juristischer Sicht sei zudem nicht klar, ob ein Obligatorium verfassungsmässig sei.
Weniger Kompetenzen für Kantone
Die Kantone sollen nach dem Willen des Nationalrates Impfungen nicht mehr für obligatorisch erklären dürfen, sondern nur noch vorschlagen und empfehlen können. Die grosse Kammer folgte in diesem Punkt einem Minderheitsantrag von Vertretern von SVP, Grünen und SP.
Ignazio Cassis (FDP/TI) hatte namens der Kommissionsmehrheit vergeblich argumentiert, dass die Kantone diese Möglichkeit heute hätten und sie intelligent und umsichtig anwendeten. Komme es etwa in einer Region wiederholt zu Masernepidemien, brauche es diese Möglichkeit für die Kantone, doppelte Yvonne Gilli (Grüne/SG) – diesmal in der Rolle der Mehrheitssprecherin – nach.
Die gesamte Vorlage hiess der Nationalrat mit 152 zu 4 Stimmen gut. Das Epidemiengesetz geht nun an den Ständerat.