Oh du fröhlicher Tannenzankapfel – oder: So überleben Sie Weihnachten

Mit Weihnachten ist es so eine Sache. Eine Anleitung, wie man das Desaster vermeidet – oder notfalls übersteht. Kaum hat der letzte Baum sein letztes totes Blatt abgeworfen, droht auch schon das nächste vermeintliche Unheil. Worauf man sich als Kind immer so gefreut hat, wird mit den Verstrickungen des fortschreitenden Lebens oft unerhofft kompliziert: Mit […]

Nicht nur bei einem Christbaumbrand gehts an Weihnachten bei manchen Familien heiss her.

 

Mit Weihnachten ist es so eine Sache. Eine Anleitung, wie man das Desaster vermeidet – oder notfalls übersteht.

Kaum hat der letzte Baum sein letztes totes Blatt abgeworfen, droht auch schon das nächste vermeintliche Unheil. Worauf man sich als Kind immer so gefreut hat, wird mit den Verstrickungen des fortschreitenden Lebens oft unerhofft kompliziert: Mit Weihnachten ist es so eine Sache. Eine Anleitung, wie man das Desaster vermeidet – oder notfalls übersteht. 

1. Der frühe Vogel ist schnell satt

Der Anlass namens Weihnachten macht sich bereits sehr früh bemerkbar, und böse Zungen behaupten gar, es wäre jedes Jahr früher. Aber das sagen sie seit Jahren und, würde das stimmen, die ersten Christbaumkugeln wären im Juni bereits im Angebot. Tatsache ist aber, dass das Fest auch eine Industrie hervorgebracht hat, die, obwohl sie nach dem Gegenteil trachtet, einem schon im Vorfeld die Freude vermiesen kann. Das Schwierigste ist im Grunde jedes Jahr, nicht schon vor dem Anfang des eigentlichen Festes nervlich am Ende zu sein.

Der einzige Ausweg ist, dies schlicht zu ignorieren und sich zum Guetzlibacken zurückzuziehen. Massenaufläufen abgeneigte Menschen können heutzutage auch im Internet bestellen und dem schnäppchenwütigen Mob im Globus ganz aus dem Weg gehen.

2. Religion optional

Zwar ist das Christentum Erfinder der Feier, doch man darf diese auch begehen, wenn gemäss der eigenen Ideologie im Himmel kein allmächtiger Bartli hockt, wenn dieser Allah oder anders heisst oder etwa ein fliegendes Spaghettigericht ist. Es spielt nicht so eine grosse Rolle, daraus einen Protest machen zu müssen. Also: ungeniert das verstaubte Krippen-Trauerspiel aus dem Keller kramen und den eigenen Heiligenschein dazu. Würden nur Gläubige zugelassen, wäre zum Beispiel der 1. August auch nur für registrierte Patrioten erlaubt. 

3. Die Sache mit der Familie

Im Gegensatz zu den Freunden ist die Besetzung der Familie nicht wählbar und unweigerlich befinden sich darunter einige Personen, die man lieber meiden würde. Doch wer es schafft, sich ein ganzes Jahr nicht sehen zu wollen, kann auch einen weiteren Abend ohne Konfrontation überleben. Wer nicht mitspielt, tut sich selber keinen Gefallen.

Das dazu errichtete Buffet erleichtert die Sache etwas: Wer isst, hat den Mund voll und kann kein verbales Unheil anrichten. Wenn’s also in der Giftkiste juckt, einfach noch einmal der – selbstverständlich ovo-lacto-glutenfreiländischen – Gans einen Besuch abstatten. Man könnte auch eine wohlerzogene Freundin oder Freund mitbringen und an deren Weihnacht selber erscheinen. Fremde am Tisch wirken Wunder!

Ist und bleibt die Familie ein Haufen unerträglicher, unversöhnlicher Rüpel, dann bietet sich immer noch die vorgetäuschte Krankheit (ist ja zufällig Saison) und die Alternativfeier mit Freunden davor oder danach an. Jeder bringt etwas für’s feste oder flüssige Buffet, alle erzählen ihre Version der schrecklichen Stieftante und voilà, bereits tritt Heilung ein.

4. Ja, der Kitsch gehört dazu

Weihnachten besteht aus Unmengen von Lametta, überfruchtigen Glückstees und Sprühschnee. Wie das so kam, weiss niemand, aber es gehört dazu wie der Esel zum Stall. Man mag es lächerlich und aufgesetzt finden, doch nachdem das Herbstgrau gerade so richtig eingefahren ist, sorgt ein wenig schummriger Glitzerkitsch gleich für gute Laune. Versprochen!

Nur die mehrfach blinkenden Extremlichterketten, die sollen in ihrem Dorfdisco-Exil verbannt bleiben.

 

5. «Ich schenke lieber im ganzen Jahr»

Klar doch: Alle beteuern, lieber aus freien Stücken schenken zu wollen, statt am gesellschaftlich vorgegebenen Anlass. Tun Sie aber dann doch nicht, oder? Also Schluss mit der Heuchelei und her mit den Paketen.

Nicht schenken: Küchengeräte, ausser auf ausdrücklichen, schriftlich verbürgten Wunsch. Der Teufel ist in der Industrie zu Hause, die uns solche Ausreden verkauft. Die Regel: Je spezifischer die Funktion des Geräts, desto weniger ist es als Geschenk tauglich. Nichts bezeugt mehr die mit Geld substituierte Einfallslosigkeit als der Rüebli-Rüstmaster XT-2000 mit eingebautem Steamer. Plastikmüll, den die armen Beschenkten noch eine ganze Weile rumstehen lassen müssen, bevor endlich und mit schlechtem Gewissen das ungeliebte Gerät im Keller sein Grab findet. Ein Kärtli mit einer Tafel Schoggi hätte mehr gebracht.

Auch ein Unding: Kauf-dir-doch-dein-Scheissgeschenk-selbst-Geldgeschenke an Menschen mit geregeltem Einkommen.

Erlaubt ist immer, symbolische oder ganz geschenkfreie Weihnachten zu feiern. Aber bitte mit allen früh genug absprechen, bevor dann doch jemand in einem mit Schläufli verzierten VW Polo auffährt, während sich alle selbstgeschriebene Gedichte vorlesen. Tut man dies mit Absicht, fällt dies unter böswillige Sabotage. Mit Geschenken den kalten Krieg anzetteln ist unlauter und unschön.

6. Muss auch der Onkel singen?

Wer Weihnachtslieder singt, kennt das: Jedes Jahr gibt es dieses eine Familienmitglied, welches mit stets abenteuerlicheren Ausreden immer zu spät und just nach dem gemeinsamen Trällern erscheint. Soll man warten und dieses der hehren Pflicht gewaltsam zuführen? Ja! Nichts lässt eine Gruppe von Menschen mehr zusammenwachsen als ein schiefes, gemeinsam gekrächztes Lied. Gleichzeitig spricht für weitere zehn Minuten niemand den Erbschaftsstreit an. Wenn alle tapfer der eigenen Peinlichkeit ins Gesicht blicken müssen, ist die Situation schon wesentlich entspannter.

7. Hilfe! – ein Geschenk droht, Ruf und Laune zu ruinieren

Was tun?

  • Die Karte liest man hochinteressiert, während man so tut, als hätte man das Geld nicht gesehen.
  • Man bedankt sich immer, für jeden Mist. Die Verantwortung liegt alleine beim Schenkenden.
  • Später nach dem Kassenbeleg fragen, um die Sache selber ohne Gesichtsverlust in die Hand zu nehmen, ist erlaubt. Notfalls heucheln, zum Beispiel eine seltene und gerade eben entdeckte Allergie.
  • Das seit der Kindheit geforderte Pony ist wieder nicht dabei. Kein Grund zu Wutanfällen: Vielleicht ist das eine bewusste Botschaft, nachdem der Hamster, die Goldfische und auch der Kanarienvogel allesamt eines vorzeitigen und absolut nicht natürlichen Todes erlegen sind.
  • Schenken ist weniger das Ding im Papier als der Akt, der beiden Seiten Freude bereitet. Geben und Nehmen ist nämlich gleich schön. So lehrt uns Weihnachten eine Lektion, die nicht oft genug wiederholt werden kann.

Und sonst?

Wir kommen zu Weihnachten wie die unbefleckte Empfängnis zu Maria: Ist einfach so, wurde beschlossen und schneit auf alle nieder, ob man nun will oder nicht (ausser man ist bereit, alleine deswegen permanent in ein weihnachtsfernes Gebiet auszuwandern. Dort erwartet einen aber mit Sicherheit ein vergleichbarer Anlass. Zum Beispiel der regelmässig in Ruin und Desaster endende und deswegen zeitweise verbotene indianische Schenkbrauch Potlatch der Kwakwaka’wakw). Eigentlich handelt es sich doch um nichts weiter als ein gehobenes Abendessen mit Bekannten. Das bekommen wir doch sonst auch hin, oder nicht?

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