Oksana von Femen: «In der Ukraine sind wir in Lebensgefahr»

Oben ohne, aber nicht ganz ohne: Die Aktivistinnen von Femen geben sich Blössen. Kurz ihre Auftritte. Knapp ihre Bekleidung. Einfach ihre Thesen. Gross die Angriffsfläche. Das demonstriert Oksana Shachko im Interview. Sie lebt im Exil in Frankreich – und kommt heute für eine Filmpremiere nach Basel. Sie fallen durch körperbemalte, blumengeschmückte, barbusige Manifestationen auf. Sie […]

Filmreif: Die ukrainische Aktivistin Oksana Shachko ist jetzt im Kino zu erleben.

Oben ohne, aber nicht ganz ohne: Die Aktivistinnen von Femen geben sich Blössen. Kurz ihre Auftritte. Knapp ihre Bekleidung. Einfach ihre Thesen. Gross die Angriffsfläche. Das demonstriert Oksana Shachko im Interview. Sie lebt im Exil in Frankreich – und kommt heute für eine Filmpremiere nach Basel.

Sie fallen durch körperbemalte, blumengeschmückte, barbusige Manifestationen auf. Sie rufen zu Aktionen gegen Korruption, gegen Missstände in der Sex-Industrie und gegen die Machtfreundlickeit der Kirche auf.

Am Filmfestival von Venedig erschien im letzen Sommer ihre Geschichte in neuem Licht. Plötzlich war in einem Dokumentarfilm der Feministin Kitty Green von einem Mann als Strippenzieher der Polit-Stripperinnen die Rede. Von einem geschickten Schachzug wollten andere wissen. Im Winter standen die Frauen – ohne Mann – auf der Seite der Protestierenden auf dem Majdan-Platz in Kiew. Sie liessen sich von niemandem vereinnahmen.

Heute sind ihre Botschaften auch auf T-Shirts, Taschen und Tassen erhältlich. Ist Femen bloss ein modisches Protest-Label? Was steckt hinter den jungen Frauen, die von Alt-Feministinnen belächelt, von Sozialisten kaum ernst genommen, von den Medien gehätschelt werden? Drei von Ihnen, Oksana, Jana und Sascha sind mit dem Schweizer Filmemacher Alain Margot am Samstag, 17.5. in Basel zu Gast (18.15 Uhr, Kino Atelier). Sein Dokumentarfilm: «Femen – mit Leib und Seele» läuft ab nächster Woche im Kult-Kino-Programm. Wir haben die Frauen vorgängig getroffen.

Oksana Shachko, warum haben Sie sich eigentlich einen lateinischen Namen gegeben?

Femen ist das lateinische Wort für Schenkel. Weibliche Schenkel als Ort, in dem das Leben schlummert, ist ein Bild, ohne weitergehende symbolische Bedeutung.

Sie operieren mit weiblicher Nacktheit. Ruft das nicht die Feministinnen auf den Plan?

Viele verstehen sehr wohl, dass wir auf eigene Art für ein neues Selbstbewusstsein für den weiblichen Körper kämpfen. Uns geht es nicht um Macht. Nicht um die Deutungshoheit von Weiblichkeit. Uns geht es um die Öffnung des Bewusstseins. Der weibliche Körper wird oft missbraucht. Unsere Körper sind daher Protest aber auch Ausdruck unseres Selbstbewusstsein. Wir malen uns an. Wir ziehen uns aus. Das gefällt nicht allen. Das provoziert viele. Vor allem jene, gegen die wir uns richten: Religion, Politik und Korruption.

In Ihrer Heimat, der Ukraine, wurden Sie eingesperrt. Wie lange glauben Sie, können Sie nicht mehr in die Ukraine zurück?

In der Ukraine sind wir in Lebensgefahr. Man würde uns verschleppen, ich hätte Angst um unser Leben. Der russische Geheimdienst ist überall. Er hat die Entwicklung des politischen Systems seit Jahren genau im Blick.

Haben Sie versucht in der Schweiz Asyl zu beantragen?

Nein, wir leben jetzt in Paris und versuchen unsere Arbeit dort fortzusetzen. In Frankreich gibt es bereits eine Gruppe von Femen-Frauen. Da gab es eine Gruppierung von Frauen aus Nordafrika, die mit uns Kontakt aufnahmen. Wir fühlen uns wohl da. Auch viele traditionelle Feministinnen, Frauen die seit sechzig Jahren für die Rechte der Frau kämpfen, unterstützen uns. Die Druckmittel in der Ukraine haben sich in den letzten drei Jahren systematisch verschärft. Die letzten Hemmschwellen der physischen Gewalt scheinen dort gefallen zu sein.

Sind Sie in eine Bresche gesprungen?

Unsere Bewegung hat andere Protest-Quellen. Wenn Sie den Ruf der ukrainischen Frauen im Westen kennen, wissen Sie, wogegen wir kämpfen. Unsere Frauen sind verzweifelt. Viele sind gezwungen, ihre Körper zu verkaufen. Das tun sie auch im Westen. Also nutzen wir unsere Körper, um darauf aufmerksam zu machen. Das ist nur eine kleiner Teil des Protests.

Also haben auf dem Maidan gar keine Organisationen zusammengearbeitet?

Das ist alles in den Anfängen. Auch die Organisationen der Frauen. Frauen werden in unserem Land nahezu versklavt. Vergewaltigungen werden nicht geahndet. Die Arbeitslosigkeit ist immens. Wir sind am Anfang. Wir haben noch keine seriösen politischen Leader. Wir kennen nur die Günstlinge der Oligarchen.

Welche Politiker unterstützen Sie?

Keine. Wir wollen ausserhalb dieser blockierten Diskurse bleiben.

Was erwarten Sie von den Wahlen?

Noch nicht viel. Ob Janukowitsch oder Timoschenko, das sind allesamt Figuren der alten Oligarchen. Klitschko ist auch nur ein Sprecher einer elitären Minderheit. Die Menschen sind sich nicht gewohnt, Wahlen nach Inhalten zu entscheiden. Sie haben nur die Wahl von Köpfen im Kopf. Aber neue Gesichter machen kein neues Denken: Die Clans sind sich alle sehr ähnlich. Und in einem sind sie gleich: Sie vertreten nicht die Interessen des Volkes.

Heisst das Spaltung nach der Wahl?

Das Volk will keine Spaltung. Es will auch nicht russisch werden. Als Land kann die Ukraine eine eigene demokratische Tradition entwickeln. Aber nicht unter der Vormundschaft von Putin, nicht in seinem Clan-System. Auch der Westen ist nicht wirklich an den Wünschen des Volkes orientiert: Der Westen will bloss Putin zurück binden.

Waren Sie vor kurzem noch in Ihrer Heimatstadt Donezk? Was vernehmen Sie von dort?

Im Moment ist an eine Rückkehr nicht zu denken. Wenn aus Donezk eine freie Republik Donezk wird, dann wird Putin sich diesen Teil schnappen, was für die Ukrainer bedeuten würde, dass sie auswandern müssen. Meine Familie wird dann, wie es in der Krim passiert ist, fliehen.

Fürchten Sie um das Leben Ihrer Familie?

Wir sind in den letzten drei Jahren systematisch ausspioniert worden. Mit jeder Verhaftung haben sich die Haftbedingungen für unserer Frauen verschärft. Ich fange an, mir Sorgen um das Leben meiner Eltern zu machen. Vieles kann rasch schlimmer werden.

Haben Sie politische SympathisantInnen?

Wir erhalten von keiner Seite unverhohlenes Lob. Wir setzen unsere Sexualität ein, wir nennen uns «Sextremistinnen». Das verlangt viel Liberalität. Unsere Frauen kommen aus ganz unterschiedlichen Richtungen: Ich bin christlich erzogen.

Gibt es bei «Femen» auch Männer?

Wir arbeiten in der Ukraine nur mit Frauen.

Aber ganz am Anfang war doch ein Mann, Wiktor Swjazki, in Ihren Reihen?

Die Zusammenarbeit haben wir beendet. Er spielt keine Rolle mehr. Es gab einen Dokumentarfilm, der für Verwirrung sorgte. Da wurde vor allem in Deutschland viel aufgebauscht. Wir ecken mit unserer Arbeit an. Da wird auch viel falsche Information über uns verbreitet. Aber wir haben viele Sympathisanten. In Frankreich sind es vor allem junge Linke, Frauen. Man hat uns in Frankreich politisches Asyl gewährt.

Wie geht es weiter?

Wir bauen in Frankreich die «Femen» aus. Es melden sich nach dem Film viele junge Frauen bei uns. Auch aus der Schweiz. Das ist ein Anfang. Der «Sextremismus» wird vielleicht eine freier verstandene Form von Feminismus.

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Am Samstag stehen Alain Margaut und drei der Gründerinnen von Femen im Kino Aelier in Basel bei einer Vorpremière Red und Antwort.

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