Im Reagenzglas gezeugte Embryos sollen künftig auf Chromosomenstörungen untersucht werden dürfen, bevor sie in den Mutterleib eingepflanzt werden. Darauf haben sich die eidgenössischen Räte geeinigt. Das letzte Wort wird wohl das Volk haben.
Am Montag räumte der Nationalrat bei der Revision des Fortpflanzungsmedizingesetzes die letzten Differenzen aus. Zuletzt war noch umstritten gewesen, wie viele Embryos im Reagenzglas entwickelt werden dürfen. Im Lauf der Beratungen waren verschiedene Lösungen diskutiert worden.
Der Bundesrat hatte vorgeschlagen, dass höchstens drei Embryos in vitro gezeugt werden dürfen, wenn das Erbgut nicht untersucht wird. Das entspricht der geltenden Regelung. Neu sollte aber die Entwicklung von maximal acht Embryos erlaubt sein, wenn an diesen Tests durchgeführt werden. Dem schloss sich der Ständerat zunächst an.
Der Nationalrat hingegen wollte überhaupt keine Zahl im Gesetz festzuschreiben: Es sollten so viele Embryos im Reagenzglas entwickelt werden dürfen, wie für eine erfolgreiche Schwangerschaft nötig sind. Nun hat er aber den Kompromissvorschlag der kleinen Kammer akzeptiert, wonach höchstens zwölf Embryos ausserhalb des Mutterleibs gezeugt werden dürfen.
Auch mit Samen toter Spender
Umstritten war auch, ob Keimzellen nach dem Tod der Person, von der sie stammen, noch verwendet werden dürfen. Der Nationalrat wollte dies ganz verbieten. Nun hat er sich dem Ständerat angeschlossen, der eine Ausnahme vom Verbot bei Samenzellen von Samenspendern machen will. Damit soll verhindert werden, dass bei der Verwendung von Spendersamen zuerst geklärt werden muss, ob der Spender noch am Leben ist.
Bei der Präimplantationsdiagnostik, dem zentralen Element der Revision, hatte in der Herbstsession der Ständerat eingelenkt: Nach anfänglichem Widerstand stimmte eine Mehrheit der kleinen Kammer für die Zulassung des so genannten Aneuploidie-Screenings. Mit dieser Methode werden in vitro gezeugte Embryos vor der Einpflanzung in die Gebärmutter auf Chromosomenanomalien untersucht. Dadurch können beispielsweise Embryos mit Trisomie 21 (Down-Syndrom) ausgesondert werden, was die Wahrscheinlichkeit einer erfolgreichen Schwangerschaft erhöht.
Diese Tests sollen allen Paaren offenstehen, die künstliche Befruchtung in Anspruch nehmen dürfen. Pro Jahr sind das rund 6000. Der Bundesrat und zunächst auch der Ständerat hatten sich für eine zurückhaltende Liberalisierung ausgesprochen: Nur jene Paare sollten auf Methoden der Präimplantationsdiagnostik zurückgreifen dürfen, bei welchen eine Veranlagung für schwere Erbkrankheiten bekannt ist. Das wären 50 bis 100 pro Jahr.
Unversöhnliche Positionen
Heute sind Untersuchungen an in vitro gezeugten Embryos vor der Einpflanzung in den Mutterleib grundsätzlich verboten. Für eine Aufhebung wurden verschiedene Gründe ins Feld geführt: Einerseits ist die Wahrscheinlichkeit einer erfolgreichen Schwangerschaft höher, wenn ein gesunder Embryo eingepflanzt wird, der Frau werden damit erfolglose Behandlungen erspart.
Andererseits ist die heutige Rechtslage unbefriedigend, weil Embryos zwar nicht im Reagenzglas, wohl aber später im Mutterleib untersucht werden dürfen. Wird eine genetische Anomalie festgestellt, entscheiden sich viele Paare für einen Schwangerschaftsabbruch. In der Ratsdebatte war in dem Zusammenhang von der «Schwangerschaft auf Probe» die Rede.
Und schliesslich soll mit der Revision der so genannte PID-Tourismus eingedämmt werden: Weil in anderen Ländern weniger strenge Regeln gelten, weichen viele Paare für künstliche Befruchtungen ins Ausland aus. Genaue Zahlen dazu gibt es nicht.
Diese Argumente können die Bedenken der Gegner aus kirchlichen Kreisen und der Skeptiker der grenzenlosen Machbarkeit nicht zerstreuen. Sie lehnen jede Selektion ab, weil sie eine Unterscheidung von wertem und unwertem Leben für unzulässig halten.
Sie befürchten auch einen «Zwang zum gesunden Kind»: Viele Eltern könnten sich unter gesellschaftlichem Druck zu Untersuchungen an Embryos praktisch gezwungen sehen. Nach Ansicht der Gegner ist es von da nicht mehr weit zum «Designer-Baby» und zur Eugenik.
Nun ist der Ball beim Volk
Die Vorlage ist nun bereit für die Schlussabstimmung. Die EVP will dagegen das Referendum ergreifen, wie sie am Montag bekräftigte. In der CVP, in kirchlichen Kreisen oder bei Behindertenorganisationen ist die Skepsis ebenfalls gross. Die Erhöhung der Zahl in vitro gezeugter Embryos braucht eine Verfassungsänderung, dazu hat das Volk darum ohnehin das letzte Wort.
Dass die Revision an der Urne bestehen muss, waren sich die Räte sehr wohl bewusst. Sie bemühten sich stets, den Bogen nicht zu überspannen und bei der Liberalisierung nicht allzu weit zu gehen.
So kam etwa für die so genannten Retterbabys keine Mehrheit zustande: Mittels HLA-Typisierung wird vor der Einpflanzung in den Mutterleib jenes Embryo identifiziert, das imunkompatibel mit einem erkrankten Geschwister ist und diesem beispielsweise mit einer Blutstammzellenspende helfen könnten. Auch die Selektion nach bestimmten Eigenschaften bleibt verboten.