Nach einer emotional geführten Diskussion ist der Aargauer Grosse Rat am Dienstag mit 84 zu 51 Stimmen auf die zweite Lesung des Kinderbetreuungsgesetzes eingetreten. Die SVP scheiterte mit dem Antrag, die Vorlage nicht zu beraten.
Der Grosse Rat fällte jedoch noch keine Sachentscheide. Er wird die Vorlage am kommenden Dienstag zu Ende beraten. Ob das Gesetz die Schlussabstimmung übersteht, ist angesichts der unterschiedlichen Standpunkte offen. Die SVP kündigte an, sie werde einen Antrag auf ein Behördenreferendum stellen, damit das Volk über das Gesetz entscheiden könne.
In der Eintretensdebatte wiederholten die Parteien ihren bisherigen Positionen. Die SVP will kein Gesetz, während die FDP für eine abgeschwächte Regelung ist, welche den Gemeinden freie Hand lässt, ob sie eine familiexterne Kinderbetreuung anbieten wollen oder nicht.
Bei der ersten Beratung des Gesetzes hatte der Grosse Rat gegen den Willen des Regierungsrats beschlossen, dass sich die Gemeinden nicht an den Kosten für Kinderkrippen und Mittagstische beteiligen müssen. Der Regierungsrat hält jedoch daran fest, dass die Gemeinden in die Pflicht genommen werden sollen.
Unversönliche Standpunkte
SVP-Grossrat Fredy Böni kritisierte den Regierungsrat, dass dieser nicht die Beschlüsse des Parlamentes übernehme. Der Volks- und Parlamentswille werde mit Füssen getreten. Auch die Gemeinden müssten den Rotstift ansetzen. Ihnen drohten Zusatzkosten von 50 Millionen Franken. SVP-Fraktionschef Jean-Pierre Galatti bezeichnete das Gesetz als «eine Art Totgeburt».
FDP-Grossrätin Martina Sigg sagte, ihre Partei sei für die Vereinbarkeit von Beruf und Familie. Die Gemeinden sollten die Verantwortung für die familienexterne Kinderbetreuung übernehmen. Die Angebote sollten bezahlbar sein. Die Gemeinden sollten jedoch nicht zum Angebot verpflichtet werden.
SP, CVP, GLP, BDP und Grünen stellten sich hinter die Anträge des Regierungsrats. Die Gemeinden sollten verpflichtet werden, Kinderkrippen und Mittagstisch anzubieten sowie diese mitzufinanzieren. Wenn Gemeinden keine Beiträge an Betreuungsmassnahmen leisten müssten, werde die Vereinbarkeit von Beruf und Familie nicht verbessert.
SP-Grossrat Jürg Knuchel betonte, der Bedarf der Angebote sei heute weitgehend unbestritten. Es brauche mehr Verbindlichkeit. Die Angebote müssten breit verfügbar und für alle finanzierbar sein. Es gehe um die Kinder und um die Zukunft. SVP und FDP würden keine Hand zu einer Lösung bieten. Die Zeit sei reif für eine familienexterne Kinderbetreuung.
Die zuständige Regierungsrätin Susanne Hochuli (Grüne) sagte zum Grossen Rat: «Nehmen Sie die Emotionen raus und verlieren Sie die Nerven nicht.» Es brauche ein Gesetz mit Hand und Fuss, welche das Notwendige regle.
Volksinitiative will mehr
Das Gesetz über die familienergänzenden Kinderbetreuung soll ein Gegenvorschlag zur Volksinitiative «Kinder und Eltern» des Aargauischen Lehrerinnen- und Lehrerverbands (alv) sein.
Der Grosse Rat hatte im November 2014 den ersten Gegenvorschlag zu dieser alv-Initiative mit 66 zu 59 Stimmen an den Regierungsrat zurückgewiesen. Den Ausschlag gab damals eine unheilige Allianz von SVP und SP. Die SP verwarf den Gegenvorschlag, weil sie die alv-Initiative unterstützt. Die SVP war grundsätzlich gegen ein Gesetz.
Bei den Diskussionen um die Regelung der Kinderbetreuung steht im Kanton Aargau auch noch die CVP-Volksinitiative für die Vereinbarkeit von Beruf und Familie im Raum. Die Sammelfrist dafür läuft bis zum 10. April 2016. Das Begehren entspricht weitestgehend dem Text des ersten Gegenvorschlags des Regierungsrats zur alv-Initiative.